Mehr als eine Spur der Vergangenheit

Benediktiner- und Benediktinerinnenklöster heutzutage in Deutschland sind gut anzuschauen. Normalerweise handelt es sich bei ihnen um ein gepflegtes Ensemble von Bauten um eine Kirche, ein Zeuge vergangener Zeiten. In Gesellschaft und Kirche besteht weithin darin Übereinstimmung, dass sie zum kulturellen Erbe gehören und somit der Aufwand zur Erhaltung gerechtfertigt ist. Die Mönche und Nonnen, die dort leben, nehmen diese Wertschätzung zwar gerne an, empfinden sich aber mit dem, was ihrem Leben Gestalt gibt und den Bauten einen Sinn, nicht richtig wahrgenommen. Dann wird man fragen, wozu ein Kloster denn außerdem noch gut sei. Abgesehen von manchem anderen, könnte man drei Kennzeichen benennen.

1. Das Kloster ist ein Ort der Erinnerung an Gott

Als in der Frühzeit der Kirche einzelne Gruppen die asketische Lebensweise aus dem Judentum übernahmen, stellten sie die Verehrung Gottes in das Zentrum ihres Lebens. Wenn sie gemeinsam beteten, war Kirche für sie erfahrbar. Im Gottesdienst wurden Anbetung, Lobpreis, Dank und Fürbitte durch Worte und Riten zusammengefügt.

Als diese Bewegung später sich zu den Formen des Mönchtums entwickelte, waren die Gottesdienste, die Liturgie, so gestaltet, dass Menschen hinzukommen und je nach ihren Möglichkeiten teilnehmen konnten. Dieses Element der Einladung geht darauf zurück, dass die Mönche und Nonnen sich an Jesus von Nazareth, dem Christus, dem Messias, und seiner Botschaft, dem Evangelium, ausrichteten. So wird der Blick über die Gemeinschaft hinaus geweitet. Dass Jesus von den Toten auferstanden ist, davon wird in einem benediktinischen Kloster immer wieder gesprochen. Damit verbunden ist die Überzeugung, dass Jesus denen, die sich zu ihm bekennen, am Lebensatem Gottes Anteil gibt, was im Glaubensbekenntnis als „Heiliger Geist“ bezeichnet wird.

Wenn man die Hoffnung auf das Kommen Jesu am Ende dieser Weltzeit und die Erwartung der Vollendung der Schöpfung im Reich Gottes aufgäbe, wäre das Leben der Mönche und Nonnen sinnlos. Für Benedikt in Montecassino war Jesus Christus, den er als den Herrn bezeichnete, die zentrale Gestalt, an der sich das Miteinander in der Gemeinschaft im Alltag orientierte. Die Gemeinschaften, die seine Regel übernahmen, versuchten, die Menschen ihrer Umgebung einzuladen, diese Orientierung zu übernehmen. Christentum ist in erster Linie nicht ein System von Riten oder ein Gefüge von Wertvorstellungen, sondern die Gestaltung einer Beziehung, nämlich zum auferstandenen Jesus von Nazareth und zu Gott, den er als seinen und unseren Vater verkündet hat. In einer Zeit, in der die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland darauf verzichtet, sich über Tod und Unsterblichkeit Gedanken zu machen, gewinnt das Erinnern eines Klosters an Wert.

2. Das Kloster ist ein Ort des Segens

Benedikt öffnete sein Kloster mit großer Entschiedenheit für den Kontakt mit den Menschen, für Gäste, wie man zu sagen pflegt. Es war seine große Leistung, die Zeiten und Orte der Lebensvollzüge der Gemeinschaft so zu ordnen, dass das Alltagsleben der Mönche und Nonnen und die Gastfreundschaft vereinbar waren. Die Gäste sollten durch die Teilnahme am Gottesdienst und durch die Einführung in die Heilige Schrift innerlich gestärkt werden. Tatsächlich ist die Atmosphäre der Sammlung, die dazu notwendig ist, bis heute der von Gästen hoch geschätzte Erfahrungsraum. Der Umgang mit der Zeit, das Einüben des rechten Maßes, die Vertiefung der Kenntnis der Heiligen Schrift gereichen vielen Gästen zum Segen.

Das Kloster ist ein Ort des Segens gewiss auch durch die verschiedenen Dienste, die in ihrer Art weithin bekannt sind. Schon Benedikt hatte auf die Sorge für die Alten, die Kranken, die Kinder und die Fremden verwiesen. Nach der Gründung der Benediktinerklöster in England im 8. Jh. wurden diese Dienste institutionalisiert. Bis heute engagiert sich ein Kloster irgendwie je nach Möglichkeiten und Lage in der Diakonie oder in der Bildung, auch wenn das meist keine medienwirksame Dimension annimmt.

Das Kloster ist ein Lebensraum, ein Milieu eigener Art. Er sollte durch sein Maß und seine Kultur Menschlichkeit und Offenheit für das Sakrale miteinander verbinden. Ohne den Menschen zu überfordern, sollte die Sehnsucht nach dem Friedes des Reiches Gottes bei jedem, der diesen Raum betritt, geweckt werden. Auch dadurch ist das Kloster ein Ort des Segens.

3. Ein Kloster ist auch ein Ort des Widerstandes

Benedikt betrachtet den Menschen als begabt und gefährdet. Seine Begabungen sind zu entfalten, gegen seine Schwächen ist er zu stärken. Doch das ist nicht genug, weil es die Bedrohung durch das Böse gibt. Dem Bösen in jeder Gestalt zu widerstehen ist keine Harmlosigkeit.

Der Widerstand ist innerhalb der Gemeinschaft zu leisten, innerhalb der Kirche und gegenüber der Gesellschaft. Dieser Aufgabe haben sich die Klöster in ihrer Geschichte immer wieder entzogen. Der Widerstand gegen ungerechte Macht und gegen gesellschaftliche Strukturen, die Menschen schweren Schaden zufügten, gehört nicht zu den starken Seiten des Mönchtums. Und doch gab es ihn, und er gehört auch heute zu den Aufgaben einer Mönchsgemeinschaft.

Für die benediktinische Tradition ist die Bemühung um die Verbindung von Glaube und Vernunft kennzeichnend. Für den Mönch gilt als Ziel, „weise und gottesfürchtig“ zu sein. Denn die Dummheit ist häufig der Grund dafür, dass etwas Böses Einfluss gewinnt. Durch diese Vorgaben aus der Geschichte der Benediktiner werden an die Mönche und Nonnen hohe Anforderungen gestellt. Niemals haben sie den damit verbundenen Auftrag umfassend erfüllt. Mit Bedauern schaut man auf Fehlverhalten, Irrtum und Verweigerung und auf die Versäumnisse. Reformen und Neuansätze führten dazu, dass die Herausforderung blieb – bis heute. Faszinierend ist, dass auch eine Gemeinschaft mit einer geringen Zahl an Mönchen oder Nonnen einen Ort in der beschriebenen Weise prägen kann.

Wie in den Epochen der Vergangenheit werden sich die Formen der Liturgie, der Diakonie und des Glaubenszeugnisses ändern. Vom ausladend Eindrucksvollen wird die Entwicklung zur Konzentration auf das Wesentliche gehen. Dabei sind die Mönche und Nonnen auf den Austausch mit den Christinnen und Christen der Ortsgemeinden und auf die Kommunikation mit den Strömungen in der Kirche angewiesen. Die Wahrnehmung der kulturellen Entwicklungen in der Gesellschaft muss hinzukommen. Der Glaube der Ordensleute, die Ausrichtung auf Christus, verkümmert, wenn eine Gemeinschaft nur mit sich selbst kommuniziert. Natürlich gibt es für eine Gemeinschaft stets die Versuchung, sich nur als Hüter des „kulturellen Erbes“ und der Tradition zu verstehen, weil dies von der Gesellschaft am ehesten geschätzt würde. Dem nachzugehen wäre aber verhängnisvoll.

Ein Wort der Würzburger Synode (1975) ist aktuell geblieben: „Gelebtes Evangelium führt immer zu Gemeinde. … Die geistlichen Gemeinschaften sollen dazu beitragen, dass die Kirche Gemeinde des Gebetes und der Bruderliebe ist, in der Gottes Heilshandeln in Jesus Christus und die Hoffnung auf die endgültige Zukunft wachgehalten wird“ (Orden 2.1.7).

 

Von P. Athanasius Polag OSB

Veröffentlicht in: Neuburg hat Freunde, 10 Jahre „Verein der Freunde der Benediktinerabtei Neuburg e.V.“, 2011