Der Monat November ist von alters her ein Sinnbild für die Vergänglichkeit des Lebens. Die Natur wirft ihre Blätter ab und bereitet sich auf den Winter vor, und auch wir Menschen sind in dieser eher dunklen Jahreszeit verhaltener und nachdenklicher als sonst. Nicht umsonst liegen die Tage des Totengedenkens, das Allerheiligen- und Allerseelenfest und der Totensonntag im November. Gottlob ist es hierzulande immer noch weit verbreiteter Brauch, an diesen Tagen die Gräber zu besuchen. Das ist gut so, denke ich, denn es ist ein Zeichen dafür, dass wir tief im Inneren spüren, dass die Verstorbenen damit auch ein Stück weit in unserer Mitte lebendig bleiben. Deshalb ist der Friedhofsbesuch auch so wichtig – nicht für die, die uns vorausgegangen sind, wohl aber für uns selbst. Wir brauchen die Erinnerung, um zu wissen, worauf wir stehen und um weitergehen zu können in die Zukunft. In unserer Ordensregel, die Benedikt von Nursia vor inzwischen fast 1500 Jahren niederschrieb und nach der wir heute noch unser Leben ausrichten, steht ein Satz, der mir im Laufe der Jahre immer wichtiger geworden und mein Leben geprägt hat. Er findet sich im vierten Kapitel, das mit dem Titel „Die Werkzeuge der geistlichen Kunst“ überschrieben ist und insgesamt 74 sehr konkrete Hinweise gibt, wie sinnvolles Leben gelingen kann. Der kurze Satz lautet: „Den möglichen Tod täglich vor Augen haben.“ Ein solches Wort mag erstaunen, zumal in einem Buch, das ganz dem Leben zugewandt ist und das Leben „in Fülle“ vermitteln will. Gehen wir dem Gedanken ein wenig nach: den möglichen Tod täglich vor Augen haben. Ganz sicher nicht gemeint ist damit, sich das vielfache Sterben und die unzähligen Toten eines Tages über den Bildschirm ganz buchstäblich täglich vor Augen zu führen und in die eigenen vier Wände zu holen. Weiterlesen

Sobald ein Kind sagen kann:“Ich bin …“, hat es etwas sehr Wesentliches seines Lebens begriffen: dass es eine eigenständige, unverwechselbare Person ist, eben ein ICH, unterschieden vom DU, das ihm gegenübersteht. Die auf den ersten Blick so unscheinbare Existenzaussage „Ich bin“ berührt den Mittelpunkt menschlichen Begegnens. Jede Begegnung mit einem Unbekannten zielt zunächst auf die indirekte oder direkte Frage: Wer bist Du? Wie bist Du? Das Sein des anderen wird über die Entwicklung der Begegnung ebenso entschieden, wie die Art und Weise der Begegnung. Viele Mosaiksteinchen sind nötig, um die Formel „Ich bin“ inhaltlich zu füllen und mitteilbar zu machen. Menschen mühen sich seit jeher darum, denn keine Begegnung, kein Mensch mit seinem individuellen „Ich“ bleibt in einer Gemeinschaft ohne Wirkung, er prägt und gestaltet sie mit. Begegnungen bestimmter Art ersehnen wir, andere aber meiden wir lieber. Jede Begegnung hat Konsequenzen unterschiedlicher Tragweite. Die einen verblassen nach einiger Zeit, andere prägen Menschen und Kulturen. So wird die Erkenntnis und der Austausch des „ Ich bin“ von Menschen zu einer Art Lebensbarometer. Für uns als Glaubende stellt sich an oberster Stelle die Frage: „Gott – wer ist das? Wie ist er? Gibt es auch von ihm ein „ICH-BIN“? Weiterlesen

Der September ist in unserer Abtei traditionell der Hildegard-Monat. Am 7. September feiern wir unser Kirchweihfest, am Hildegardisfest, d.h. am 17. September, gedenken wir unserer großen Gründergestalt. Hildegard war und ist uns ein Vorbild im Leben und im Glauben – eine Hoffnungsgestalt, die uns immer wieder aufrichten kann.

Einem verzweifelten, orientierungslosen und suchenden Zeitgenossen rief Hildegard von Bingen zu: „Schau auf zum Herrn, und die Welt wird sich verändern, weil du sie mit neuen Augen siehst“ – das ist ein prophetisches Wort: zeitlos gültig und heute so aktuell wie vor 900 Jahren. Ein Wort, das Richtung weist, auch uns. Vielleicht ist dieses Wort sogar der Schlüssel zu einer neuen Hoffnung. Denn ohne Hoffnung können wir nicht leben. Wo keine Hoffnung ist, da stirbt Leben, da öffnen sich keine Türen mehr, da bleibt alles verschlossen und versinkt in einem Sumpf von Resignation und Verzweiflung.

„Schau auf zum Herrn“ – das bedeutet: wende deinen Blick zu Gott hin, der dir das Leben geschenkt hat und aus dessen unendlicher Liebe allein uns Hoffnung zuströmt. Schau auf zum Herrn – das bedeutet aber auch: hör auf, nur dich selbst zu sehen und nur um dich zu kreisen. Richte dich aus auf einen anderen hin, auf Christus, den Auferstan-denen, in dem allein die Quelle und das Ziel unserer Hoffnung liegt. Betrachte die Welt mit den liebenden, gütigen und barmherzigen Augen Gottes – und sie wird sich verändern, denn du selbst wirst dich verändern. Weiterlesen

„Aus: Die Tagespost – Katholische Zeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur, Ausgabe 130 vom 03.November 2010 www.die-tagespost.de und www.die-tagespost.at“
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