Einführung in die Liturgie des Karfreitag

KARFREITAG

Feier der Passion und der Auferstehung Jesu Christi. Nach dem Abendmahl hatte Jesus in einer Atmosphäre liebender Nähe und Vertrautheit die Abschiedsworte den Seinen zugesprochen, – es ist das Tiefste und Zarteste, das uns aus dem Munde Jesu überliefert ist. Da steht zu Beginn die Aufforderung: “Euer Herz ängstige sich nicht, es lasse sich nicht verwirren, durcheinanderbringen und erschüttern von Angst.“ „tarassein“, heißt es da im Griechischen, wofür wir im Deutschen gleich mehrere Begriffe brauchen, um das auszudrücken, was Jesus meint. „Lasst euch nicht ängstigen, verwirren, erschüttern . .“ Und doch berichtet das Evangelium von Jesus mehrmals die Aussage: „Jetzt ist meine Seele zutiefst erschüttert.“ Er hat diese Erschütterung nicht zu verbergen gesucht, die ihn offenbar angesichts des nahen Todes überwältigte. Sie packt ihn am Grab des Freundes Lazarus, – als er erkennen muss, dass alles Geschehen auf den Tod zuläuft, und er die Stunde näherkommen sieht, – dann als Judas zum Verrat weggeht und es nun kein Ausweichen mehr gibt, – und schließlich in der Nacht des Ringens am Ölberg, – hier wird sogar von Agonie, also Todeskampf gesprochen, in dem er um Annahme von Leiden und Tod ringt. Jesus hat das nicht erhaben und unangefochten bewältigt und die Situation wie ein Held gemeistert, sondern er hat sich als der Schwache und Ohnmächtige ausgesetzt, erschüttert von Angst. „In allem ist er uns gleich geworden“ Und doch auch die Aufforderung an die Seinen und an uns: „Habt keine Angst! Lasst euch nicht verwirren und erschüttern!“(Jo 14,1) Es ist, als wenn er sagen würde: „Es wird zwar genug auf euch zukommen, das euch zu erschüttern und zu ängstigen vermag, aber im letzten braucht ihr eben doch keine Angst zu haben, wenn ihr euch an mich haltet, wie ich mich an den Vater gehalten habe im Gebet, auch im Ringen mit ihm, – aber eben im Gebet. Das Wort am Schluss der Abschiedsreden bestätigt das nahezu: „In der Welt habt ihr Angst,“ – das lässt sich also wohl kaum umgehen, – „aber seid getrost, habt Vertrauen: ich habe die Welt überwunden.“(Jo 16)

Der erschütterte Herr in seiner Angst und Schwäche, – kennen wir das nicht auch? Dürfen nicht auch wir uns in besonderer Weise von ihm verstanden fühlen, weil unsere Zeit so viel Angst kennt? Der Philosoph Karl Jaspers hat schon in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts gesagt: „Der unheimlichen Begleiter des modernen Menschen ist eine so noch nie da gewesene Lebensangst.“ Wer ein waches Auge und Ohr hat, kann das bestätigen. Das ist gewiss auch ein Symptom der Umbruchsituation unserer Zeit, die offenbar an der Schwelle in eine neue Epoche steht. Umbruch und Einbruch von Neuem bewirkt stets Angst, – Angst wird also auch immer unser Anteil sein., es kommt nur darauf an, wie ich damit umgehe. –

Drei große Arten von Ängsten lassen sich grob unterscheiden: 1. die Angst vor der Einsamkeit, vor der Verlassenheit und vor dem Alleinsein; 2. sodann die Angst vor dem Nichts, vor der Vernichtung und dem Tod; und schließlich 3. die Angst vor dem Dunkel, der Leere und der Sinnlosigkeit. Der Mensch muss sich sagen: jede Angst hat etwas mit ihm selbst zu tun und hängt mit der Brüchigkeit und Bedrohung der eigenen Existenz zusammen. Aber auch hier gilt: wenn ich mich auf meine Ängste einlasse, sie mir bewusst mache, wenn ich mich in sie hineinwage, dann kann es sein, dass ich letztlich in Einsamkeit und Trostlosigkeit irgendwie eine Geborgenheit spüre, im absurdesten Widersinn einen Sinn erahne und angesichts unausweichlicher Vernichtung etwas vom Unvernichtbaren erspüre. Was mir da aufgeht, ist letztlich Gott selbst. Die Erfahrung der Ängste führt schließlich zur Erfahrung des lebendigen Gottes. Ihn erfahre ich inmitten aller Ängste als den Unvernichtbaren, den Todüberwinder, den Sinn im Widersinn und die Geborgenheit in aller Verlassenheit. Die Erfahrung vieler Menschen bestätigt das. „Ich befinde mich in absoluter Sicherheit“, sagte der Philosoph Peter Wust kurz vor seinem Tod durch Kehlkopfkrebs, mitten in einem schweren Bombenangriff, nachdem er in „Ungewissheit und Wagnis“ den Zauberschlüssel des Gebetes gefunden hatte. Und Kierkegaard schrieb einmal: „Eines fehlt mir noch, das suche ich: mein unsicheres, geängstigtes Leben auf etwas gründen zu können, was nicht mein Eigenes ist, worin ich mich mit den tiefsten Wurzeln meiner Existenz einlassen könnte; sozusagen in das Göttliche eingewurzelt und verankert, auch wenn die ganze Welt zusammenstürzt. Danach suche und strebe ich . .“ So verwurzelt, ist Angstüberwindung möglich. Christus hat so die Angst am Ölberg bestanden, indem er sich in den Vater „hineinbetete“.
Wenden wir uns auf diesem Hintergrund, der ersten Lesung im Karfreitagsgottesdienst aus dem Buch Jesaja zu, – das Lied vom „Gottesknecht“, das Jahrhunderte vor dieser Passion niedergeschrieben wurde. Sie beginnt mit der Frage, wer soll das glauben und verstehen, dass sich im Leiden dieses Knechtes Gottes Plan erfüllt? Diese Frage löst zunächst immer erst einmal ein Verstummen vor Gottes Unbegreiflichkeit aus. Das ist auch der Grund, dass zu Beginn des Gottesdienstes statt einer Antwort sich alle am Altar schweigend auf den Boden werfen. Dann folgen die Worte der ersten Lesung nach Jesaja: „Keine Gestalt hatte er mehr und Schönheit, verachtet, ein Mann der Schmerzen, durchbohrt wegen unserer Vergehen. Unsere Schmerzen hat er getragen. Gepeinigt wurde er, doch beugte er sich willig. Er wurde unter die Verbrecher gerechnet und in den Tod gegeben. Gott hat ihn geschlagen und gebeugt. . .“ Im Lateinischen hießt es hier wortwörtlich: „Gott wollte ihn aufreiben in seiner Schwachheit . .“ aufreiben wie zwischen Mühlsteinen. Zerreiben wie das Korn, nicht um es zu vernichten, sondern um es einem höheren Sinn und Leben zuzuführen, zum Heile vieler. – Katharsis, Reinigung.
Als Antwort singt der Chor aus Psalm 101: „Gott, vernimm meinen Schrei in der Bedrängnis, meine Tage schwinden dahin. ich verdorre wie Gras, -erhöre mich, ich bin zerschlagen und meine Seele vertrocknet. Erhebe dich, Gott, denn die Zeit ist gekommen, dich zu erbarmen . .“

Um den Schrei geht es dann in der zweiten Lesung aus dem Hebräerbrief: „Jesus hat in seinen Erdentagen mit lautem Schreien und Tränen seine Bittrufe vor Gott gebracht und ist erhört worden . .“ Hier kann sich eine letzte Not nur noch im Aufschrei artikulieren. Die Evangelien kleiden diesen Aufschrei in die Worte des 21. Psalms: „Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Der Sturz von der Zusicherung bei der Taufe und bei der Verklärung: „Du bist mein geliebter Sohn . .“ bis in solche Verlassenheit ist ungeheuerlich. Wie es scheint, ist es der Aufschrei eines Verlassenen und Vereinsamten, dessen Sterben von keinem Licht erhellt und von keinem Trost gemildert ist. Aber er sagt noch: „Mein Gott,“ und „Du“, er hat also einen Adressaten für seine Klage.

Die Evangelien berichten: „Finsternis kam über das ganze Land,“ – kosmische Finsternis, Gottesfinsternis . .

„Gottesfinsternis,“ so sagt Martin Buber, „ist der Charakter der Weltstunde, in der wir jetzt leben.“ Sie ist wohl die tiefste aller menschlichen Ängste, und Gott selbst, in Christus verleiblicht, hat sie erlitten in der Finsternis der Kreuzesstunden. Hatte Jesus (wie es im 8. Kapitel bei Johannes heißt) noch gesagt: „Ich bin nicht allein, der Vater ist bei mir,“ so ist das jetzt völlig entschwunden. Er wollte mit uns unter dem gleichen Joch gehen und tritt nicht wie ein Held von der Weltbühne ab. Er ist dem Schwächsten unter uns gleich geworden. Ja, er hat es sogar manchem gelassen, – allerdings in seiner Kraft, – heldenhafter zu sterben. Der Jesuit Alfred Delp war innerlich darauf eingestellt, dass ihn vor seiner Hinrichtung durch den Strang 1945 die ganz natürliche Existenzangst, „die Stunde der Kreatur“, wie er es nannte, gewiss noch überwältigen werde. Aber sie hat ihn nicht erreicht, er ging aufrecht und furchtlos in den Tod. Einer der drei Lübecker Priester, Hermann Lange, der ebenfalls 1945 mit 31 Jahren hingerichtet wurde, schrieb vor seinem Todesgang mit völlig ruhigen Schriftzügen an seine Eltern: „ . .heute erfüllt sich für mich alles, was ich je ersehnte. Ich bin voller Spannung.“ Und dann zum Schluss: „Ich umfange euch alle mit einem innigen Kuss der Liebe. Auf Wiedersehen beim Vater des Lichts. Euer glücklicher Hermann.“ – Und Thomas Morus bemerkte unmittelbar vor seiner Enthauptung nahezu mit Humor: „Man kann sogar seinen Kopf verlieren, ohne dabei größeren Schaden zu nehmen . .“

Dagegen am Kreuz auf Golgotha: Finsternis, Verlassenheit, lauter Aufschrei . .

In einem Gedicht von Rudolf Otto Wiemer heißt es:

Keines seiner Worte glaubte ich, hätte er nicht geschrien:

„Gott, warum hast du mich verlassen . .“

Das ist mein Wort, das Wort des untersten Menschen.

Und weil er selber so weit unten war, –

ein Mensch, der „Warum“ schreit und „Verlassen“,

deshalb könnte man ihm auch die anderen Worte

von weiter oben glauben, –

deshalb könnte man IHM glauben.

Das Verhältnis des Sohnes zu seinem göttlichen Vater brach beim Schrei der Verlassenheit nicht ab, es erlitt nur eine Zurücknahme bis auf den innersten Kern. Gott blieb ihm zwar noch der Adressat seiner Klage, aber er hatte aufgehört, der mit dem tröstlichen Vaternamen Angerufene zu sein. Es blieb nicht einmal der Rest einer Fühlung mit ihm. –

„Aber auch die Nacht hat ihre Wunder,“ so sagt Gertrud von le Fort. „Es gibt Sterne, die nur am Horizont der Wüste erscheinen. Es gibt Erfahrungen der göttlichen Liebe, die nur in der äußersten Verlassenheit, ja, am Rande der Verzweiflung geschenkt werden. Und eben das ist jene äußerste Liebe, die sogar in ihren eigenen Entzug einwilligt, darin aber zugleich die größte Annäherung an Gott erreicht.

Wenn der Hebräerbrief von dem Aufschreienden sagt: „Und er ist erhört worden,“ dann heißt das: auf das qualvollste Warum antwortet Gott mit sich selbst, ohne dass sich am äußeren Ablauf des Geschehens etwas ändert. Wie eine gequälte Kreatur war er mit einem letzten Aufschrei verschieden, aber der Hohlraum dieser Not füllt sich von innen her mit göttlichem Sinn.

Am Kreuz leidet Gott auch unsere Angst, unsere Verlassenheit, unser Sterben mit. Er schafft unser Elend nicht ab, er steht es mit uns durch. Vielleicht ist die Vorstellung von einem Gott, zu dem man nur fleißig genug beten müsse, dann helfe er einem schon aus dem Schlamassel heraus, eine falsche Voraussetzung. Wenn die Not am größten, ist Gottes Hilf am nächsten, das geht beinahe in den seltensten Fällen auf. Gott hat sich in die Grausamkeit unserer Welt hineinbegeben. Aus dem KZ Auschwitz ist uns ein Vorfall überliefert, der unser ganzes gewohntes Gottesbild in Frage stellt. Ein Junge soll gehängt werden, der Untergrundnachrichten weitergegeben hat. Alle Blockinsassen müssen zusehen, wie er lebendig am Pfahl hochgezogen wird und da einen qualvollsten Todeskampf erleidet. Einer von ihnen ruft leise, anklagend: „Wo ist denn jetzt Gott, wo ist er??“ Der Jude Elie Wiesel, erinnert daran, wie er da eine Stimme in sich antworten gehört habe: „Dort hängt er, – am Galgen.“

Gott am Kreuz, – er verwandelt unser Leid nicht, indem er es hinweg nimmt, sondern indem er auf den untersten Grund der Not zu uns herabsteigt. Gott ist kein bequemer und berechenbarer Gott, mit dem Kreuz streicht er alle menschlichen Wunschträume unserer Gottesbilder durch. Vielleicht fängt Glaube erst dort an, wo Verzweiflung anfängt. Vielleicht sollten wir das einmal wagen: zulassen, dass Gott uns fallen lässt, – ins Ungewisse, Bodenlose, ohne Licht und Trost. Wo Glaube eigentlich sinnlos geworden ist und Liebe lächerlich, wo es keinen Menschen mehr gibt, geschweige denn Gott, – dort, ganz unten, an einem bestimmten Ort und Zeitpunkt, da wartet er dann, um uns aufzufangen und nicht mehr loszulassen. Vielleicht geht es nur um diesen Glauben, der durchhält, um den Durchhalteglauben: das Unbegreifliche stehen lassen, die Durchkreuzung unserer Lebenspläne akzeptieren, die dunklen Flecken unseres Lebens annehmen und sie Gottes verwandelnden Händen anvertrauen, an Gottes Treue glauben. Vielleicht ist dieser Durchhalteglaube das einzige, was wirklich zu tragen vermag.

Im Mittelpunkt eines solchen Durchhalteglaubens steht nur das Kreuz. Unter das Kreuz führen uns dann im Karfreitags-Gottesdienst die Worte der Passion aus dem vierten Evangelium nach Johannes. Sie sind erhaben und feierlich, denn sie sprechen von der Herrlichkeit des Vaters, in die der Gekreuzigte letztendlich eingeht.

Danach bringt die Kirche, hier sozusagen unter dem Kreuz, die großen Fürbitten vor für alle Stände in der Kirche, für alle Notleidenden, für die Irrenden und Gottfernen, um Gottes Erbarmen für sie zu erflehen. Es folgt die Kreuzverehrung Das Kreuz wird nach und nach enthüllt: „Kommt lasst uns anbeten.“ Alle gehen einzeln vor zum Kreuz. Und dann unterschwellig im Gesang: der erste Freudenton: „ . denn durch das Kreuzesholz kam Freude in die ganze Welt!“ – Aber es ist nur erst dieser eine Ton. Im Verlauf der weiteren Kreuzverehrung klingen nun die sogen. Improperien auf, eine Art Klage: „Mein Volk, was tat ich dir.“ Sie wird dem Herrn in den Mund gelegt. Den „Schmähungen“ in seiner Passion stellt er immer wieder sein Heilshandeln gegenüber, – „ . . ich habe dich befreit in Ägypten, und du . .?“ – unterbrochen durch den gleichsam überwältigten Antwortgesang: „Heiliger Gott, heiliger Starker, heiliger Unsterblicher!“ Mit der Kommunionfeier wird dann der Karfreitagsgottesdienst abgeschlossen.

Sr. Teresa Tromberend OSB