, ,

Zeugnisse Rheingauer Weinkultur

Die Hildegard-Ikonographie im Laufe der Jahrhunderte, mag es sich um Skulptur, Malerei oder Miniatur handeln, weist nur sehr selten Darstellungen auf, die die Meisterin von Rupertsberg und Eibingen in Beziehung zum Wein bringen oder ihr einen Rebstock als Attribut beigeben. Der Bildstock in der Kiedricher Weinbergslage „Heiligenstock“ zeigt somit ein seltenes Motiv, und das mit gutem Grund.

Aus der Tatsache, dass Hildegard die Wirkkraft des Weins zu therapeutischen Zwecken einbezieht, wie ihre heilkundlichen Schriften bezeugen, lässt sich folgern, wie sehr ihr diese geheimnisvolle Pflanzung vertraut gewesen sein muss. Offenbar von Kindheit an, denn ihrer Herkunft nach stammt sie aus dem Geschlecht derer zu Bermersheim, deren Stammsitz nahe bei Alzey lag, – „in einem weiten, von Reben und Korn umgebenen Tal“, wie eine romantische Landschaftsbeschreibung vermerkt. Da sich die besondere Begabung und Begnadung des Kindes Hildegard schon früh zeigte, vertrauten die Eltern, der Edelfreie Hildebert von Bermersheim und seine Frau Mechtild, ihr zehntes Kind der Klausnerin Jutta von Sponheim zur Erziehung an. Diese zog 1112 mit Hildegard und noch zwei halbwüchsigen Mädchen in die Frauenklause auf dem Disibodenberg, die der bedeutenden Benediktinerabtei angeschlossen war. Da zum weitläufigen Klosterbesitz im Nahegebiet auch Weingüter gehört haben müssen, kam Hildegard während der fast 40 Jahre ihres Lebens auf dem Disibodenberg hier wiederum mit dem Phänomen Wein in Berührung, zumal sie wachen Sinnes ihr Umfeld wahrnahm.

Nach dem mutigen Entschluss, eine Verselbständigung der immer größer werdenden Frauengemeinschaft vorzunehmen und ihr mit dem Kloster Rupertsberg an der Nahemündung eine neue Heimat zu geben (um 1150), ergab sich für Hildegard auch eine neue Beziehung zum Wein: nicht nur dass die Klostergebäude inmitten von Weinbergen gelegen waren, nach und nach gehörten auch mehrere Weingüter zum klösterlichen Besitz. Nicht anders verhielt es sich mit der zweiten Klostergründung Eibingen oberhalb Rüdesheim, die Hildegard 15 Jahre später vornahm: Weinberge bildeten sowohl das unmittelbare Umfeld des Klosters wie auch dessen Existenzgrundlage.

Zweimal, so lässt sich im Hinblick auf die Darstellung sagen, hat Hildegard einen neuen Weinberg in der rheinischen Klosterlandschaft angelegt, worauf der kraftvoll geschwungene Rebzweig in ihrer rechten Hand hinweisen könnte. Dennoch nicht aus eigener Kraft, sondern gestützt auf den Stab in ihrer Linken, der ihr kraft anderer Vollmacht verliehen worden war. – Aus der im Zuge der Säkularisation erloschenen Klostergründung Eibingen, ging 100 Jahre später die wiederbesiedelte Abtei St, Hildegard hervor, – der mit vier Rhomben zugespitzte Kirchturm wie auch der Nachbarturm mögen dafür stehen. Nach wie vor gilt die Verpflichtung, die alte Tradition, gewiss in neuer Form, fortzuführen, auch sofern sie sich auf den Wein bezieht.

„Ich bin der gute Hirt“ – Wandmalerei mit Rebstock in der Abteikirche St. Hildegard

Mit der Klosterkirche der Abtei St. Hildegard besitzt der Rheingau eines der wenigen Zeugnisse der ohnehin nur kurzlebigen Stilepoche der Beuroner Kunst, die sich durch stilistische Klarheit und strenge Symmetrie auszeichnet. Sie entstand in der zweiten Hälfte des 19, Jahrhunderts, in einer Zeit also, in der die christlich – abendländische Kultur, und damit auch die durch sie geprägte Kunst zu Ende ging, – Liberalismus und Materialismus um so mehr den Zeitgeist bestimmten. Auf diesem Hintergrund muss der Versuch gesehen werden, mit der sog. „Beuroner Kunst“ eine neue christliche Kunstrichtung zu erwecken, die sich vornehmlich der Wandmalerei zuwandte. Ihr Begründer ist denn auch der Zeit entsprechend ein einzelner: der nachmalige P. Desiderius Lenz, der erst später der jungen Beuroner Klostergemeinschaft als Benediktiner beitrat. Sein Tod bedeutete denn auch das Ende des Werkes, wenngleich er mit einigen künstlerischen Mitbrüdern eine Schule für benediktinische Kunst errichtete, aus der u.a. auch P. Paulus Krebs als einer ihrer profiliertesten Schüler hervorging. der dann von 1907 bis 1913 die Eibinger Klosterkirche ausmalte. Sie darf wohl als Hauptwerk und gelungenste Komposition der Beuroner Kunstschule gelten.

Auf der nördlichen linken Wandseite oberhalb der Bogen befindet sich ein Fries mit neutestamentlichen Szenen, deren letzte – „Lebensgemeinschaft mit Christus“ betitelt – hier die besondere Aufmerksamkeit gelten soll. Zwar war bei der Gestaltung der Wandfläche ein kleines, bleiverglastes Fenster zu berücksichtigen, das aber organisch in die Ausmalung mit einbezogen wurde. Die Mitte bildend und zugleich die beiden anderen Szenen voneinander scheidend, wird es von Rebzweigen umrankt, die im Weiterranken das gesamte obere Feld ausfüllen und die Doppelszene übergreifen. Es wäre zu wenig, diesen Rebzweigen nur eine trennende Funktion zwischen zwei Bildmotiven zuzuschreiben, – sie sind ihrerseits die „Mitte“. Das eingefügte Deutewort lautet: „EGO SUM VITIS – VOS PALMITES“, – „Ich bin der ‘Weinstock’, ihr seid die Reben“, so die gewohnte Übersetzung in Unkenntnis der Winzersprache, die stets nur vom ‘Rebstock’ spricht. Der renommierte Theologe Eugen Biser macht nachdrücklich darauf aufmerksam, – auch dass esampelos nur mit „Rebstock“ wiedergegeben werden kann. Außerdem weist er darauf hin, dass alle Selbstaussagen Jesu im Johannesevangelium, die mit einem „Ich bin…“ eingeleitet werden, wobei der Akzent jeweils auf dem eröffnenden „Ich“ liegt, im Bildwort vom „Rebstock“ gipfeln, weil hier die Rebzweige mit einbezogen werden und mit dem „Rebstock“ eine Einheit bilden. „ …ihr seid die Rebzweige“, das besagt also: Lebensgemeinschaft mit dem, der sich im „Ich bin“ offenbart und in den Seinen lebt und weiterlebt. Für die Rebzweige stellt sich die lebensnotwendige Bedingung, in dieser Einheit zu „bleiben“.

Die „Lebensgemeinschaft“ um die es hier geht, wird aufs Neue wiedergespiegelt im Bild vom Guten Hirten, die heutige Welt fast fremd anmutend. „EGO SUM PASTOR BONUS“, – eine weitere Selbstaussage des Johannesevangeliums. „Ich bin der gute Hirt“, – und weiter: „Ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, wie mich der Vater kennt und ich den Vater kenne. .“ „Kennen“, das ist nur ein schattenhaft schwacher Ausdruck für den Kern der Aussage, Kennen, das bedeutet hier im Hinweis auf die göttliche Lebensgemeinschaft unauslotbare Intimität, – tiefste Lebensgemeinschaft. – Dass sie den Menschen mit einbezieht macht das zweite Motiv links vom Rebstock deutlich in der zarten Darstellung von Braut und Bräutigam. Wiederum gedeutet durch ein „Ego“-Wort, diesmal aus dem Hohenlied: „EGO SUM DILECTO MEO“, ich gehöre dem, den ich liebe, – und er gehört mir, so heißt es in der Fortsetzung. Das „Bleiben in der Liebe“, das die im Rebstock versinnbildlichte Einheit bedingt, ist der eigentlich tragende Grund allen Seins.

Sr. Teresa Tromberend OSB