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Leben nach der Regel des hl. Benedikt in der Abtei St. Hildegard

Wie alle Benediktinerinnen leben auch die Schwestern der Abtei St. Hildegard nach jener Ordensregel, die über 1400 Jahre alt ist und auf den hl. Benedikt zurückgeht. Diese Regel ist der Niederschlag einer langen Mönchstradition, zugleich aber auch einer sehr persönlichen geistlichen Erfahrung. Geprägt von Gottesliebe und Menschlichkeit, von österlicher Glaubensfreude und einem nüchternen Wissen um den Menschen, ist sie in ihren wesentlichen Aussagen auch heute noch unverändert gültig und aktuell.

Die Mönche sollen Gott in Liebe fürchten und nichts höher stellen als Christus. (Benediktusregel, Kap.72)

Sinn und Ziel eines monastischen, d.h. kontemplativen und klösterlichen Lebens ist nicht der Erfolg; weder Konsum noch Leistung, noch caritative Zwecke werden angestrebt. Monastisches Leben ist der Versuch, in Gottes Gegenwart zu leben, jeden Tag neu. Deshalb erhält ein solches Leben seine Prägung durch den Lobpreis Gottes, durch das Gebet. Es geht darum, jeden einzelnen Tag vor Gott zu bringen und zu heiligen – bewußt abseits der rasch wechselnden geistigen und gesellschaftlichen Modetrends; und dies in der Freude und Freiheit der Kinder Gottes.
Man achte sorgfältig darauf, ob einer wirklich Gott sucht. Man belehre ihn im voraus über die ganze Härte und Strenge des klösterlichen Weges zu Gott. (Benediktusregel, Kap.58)

Die Gottsuche steht am Beginn und im Mittelpunkt eines jeden klösterlichen Lebens. Wer in ein benediktinisches Kloster eintritt, der strebt nach einer eindeutigen Antwort auf den Ruf Gottes. Er ist im wahrsten Sinn des Wortes „berufen“. Deshalb verspricht er, ein Leben nach dem Evangelium zu führen, Gott zur Mitte seines Daseins zu machen, ihn in jedem Menschen und jedem Ereignis zu suchen und das in der Gemeinschaft derer, die mit ihm diesen Weg gehen.

Die Mönche sollen einander in gegenseitiger Achtung übertreffen. Sie sollen ihre leiblichen und charakterlichen Schwächen in großer Geduld aneinander ertragen. Keiner soll den eigenen Vorteil suchen, sondern mehr den des anderen. (Benediktusregel, Kap.72)

Benediktinisches Leben ist ganz wesentlich Leben in Gemeinschaft. Die Klostergemeinde versteht sich als Abbild und Teil der Kirche. Im gemeinsamen, auf Gott hin ausgerichteten Leben findet der einzelne Ansporn, Hilfe und Korrektur. Die Gemeinschaft trägt ihn und hilft ihm, auch die schmerzlichen Erfahrungen auf dem Weg zu Gott zu bestehen.

Reden und Lehren kommt dem Meister zu, Schweigen und Hören ist Sache des Jüngers. (Benediktusregel, Kap.6)

Eine wesentliche Hilfe auf dem Weg zu Gott ist das Schweigen, das erst ein Hinhören ermöglicht. Diesen Raum der Sammlung will die Klausur eines Klosters schützen. Im Schweigen, im Stillwerden und im Lauschen nach innen findet der Mensch immer tiefer zu sich selbst und zu Gott, sucht er wahrhaftiger dessen Willen und wird nach und nach in die Erfahrung der inneren Einsamkeit und Leere geführt. Diese Einsamkeit vor Gott gilt es auszuhalten. Nur wer dieses Aushalten bei sich und vor Gott gelernt hat, ist imstande, an einer Gemeinschaft mitzubauen.

Eine Benediktinerin bindet sich nach fast sechsjähriger Probezeit durch drei Gelübde an Gott und an die Klostergemeinschaft. Die Formel der benediktinischen Profeß verdeutlicht den Inhalt des klösterlichen Lebens ein wenig anders als die klassischen Gelübde der Armut, der Ehelosigkeit und des Gehorsams.

Wir wollen uns der Leitung durch Gott nie mehr entziehen und in seiner Lehre bis zum Tod im Kloster ausharren.
(Prolog der Benediktusregel)

Durch das Gelübde der Beständigkeit („Stabilitas“) verpflichtet sich die Benediktinerin zu mehr als bis zum Tode in der Gemeinschaft zu bleiben, in die sie eingetreten ist. In dem einmal gewählten Lebensraum auszuharren, bedeutet, daß sie ihr Leben, ihr ganzes Dasein in Gott verankern will. Sie strebt nicht danach, ihre Umgebung und die äußeren Lebensumstände zu ändern, sondern sich selbst. Indem sie sich freiwillig der Möglichkeit des Ausweichens beraubt, will sie lernen, Gottes Anspruch standzuhalten.

Hören wir mit aufgeschrecktem Ohr, was uns die göttliche Stimme jeden Tag mahnend zuruft: Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet euer Herz nicht! (Prolog der Benediktusregel)

Durch das Gelöbnis der beständigen Umkehr („Conversatio morum“) verspricht die Benediktinerin, ein Leben nach dem Evangelium zu führen. Hierin wird Gottes Anspruch, der jeden Christen zur Umkehr und zum Umdenken aufruft, deutlich. Die Maßstäbe des Denkens und Handelns müssen schrittweise der Gesinnung Jesu Christi nachgestaltet werden, der den Menschen auf diesen Weg der Nachfolge gerufen hat. Ein solcher Ruf ist gleichzeitig ein immer neuer Ansporn, angesichts der eigenen Schwächen nicht zu verzagen, sondern unermüdlich zu stets neuem Anfang bereit zu sein.

Der Gehorsam soll nicht nur dem Abt gegenüber geleistet werden, sondern die Brüder sollen sich auch gegenseitig gehorchen, in der Überzeugung, daß sie auf diesem Weg des Gehorsams zu Gott gelangen. Sie sollen diesen Gehorsam mit einem frohen Herzen leisten, weil Gott einen fröhlichen Geber liebt. (Benediktusregel, Kap.71)

Durch den Gehorsam („Oboedientia“), den die Benediktinerin gelobt, begibt sie sich wissentlich und freiwillig in die Abhängigkeit von Menschen, im Glauben, daß sie darin Gottes Willen selbst begegnet. Der Gehorsam, der aus Liebe zu Christus und in seiner Nachfolge geleistet wird, bewahrt den Menschen davor, den Vorstellungen und Neigungen des eigenen Ichs verhaftet zu bleiben und nur um sich selbst zu kreisen. Durch das Hören und Eingehen auf die Weisung eines anderen wird er offen für Gott und seine Mitmenschen.
Neben dem wichtigsten Kriterium für die Echtheit einer Berufung, der Gottsuche, hat der hl.Benedikt als Wesensmerkmal eines wahren Mönchs den „Eifer für den Gottesdienst“ genannt. Man soll dem Gottesdienst nichts vorziehen. (Benediktusregel, Kap.43) Daher stehen Gottesdienst und Liturgie im Mittelpunkt des klösterlichen Lebens in der Abtei St. Hildegard. Da dem Gottesdienst nach Weisung des hl.Benedikt nichts vorgezogen werden darf, richtet sich der ganze Tagesablauf nach den Gebetszeiten. Siebenmal am Tag versammeln sich die Schwestern im Chor zum gemeinsamen Gebet:

Laudes – Terz und Hochamt – Sext – Non – Vesper – Komplet – Vigilien.

Nach kirchlich-monastischer Tradition wird das Stundengebet weitgehend in lateinischer Sprache verrichtet. In der täglichen Eucharistiefeier, der Herzmitte des klösterlichen Tages, kommen die uralten Melodien des Gregorianischen Chorals, die das Wort Gottes in einzigartiger Weise musikalisch ausdeuten, zum Erklingen. Dadurch soll nicht zuletzt die Verbundenheit mit der Weltkirche zum Ausdruck gebracht werden.

Wir wollen so beim Psalmensingen stehen, daß unser Herz im Einklang ist mit unserer Stimme. Und wir sollen wissen, daß wir nicht durch viele Worte Erhörung finden, sondern durch die Lauterkeit des Herzens. (Benediktusregel, Kap.19)

Grundlegende Bedeutung innerhalb des Stundengebets der Schwestern haben die Psalmen. Alles menschliche Empfinden und Erleben kommt in diesen alttestamentlichen Gebetsliedern zum Ausdruck: Lob und Dank, Erinnerung an Gottes Heilstaten, Vertrauen und Freude, Sehnsucht nach Gott, Schmerz, Klage und Bitte. So werden Not und Freude der ganzen Welt, aber auch die ganz persönlichen Anliegen einzelner Menschen fürbittend vor Gott getragen. Das gemeinsame Gebet soll den Benediktinerinnen nicht nur äußere Pflichterfüllung sein, sondern mehr und mehr zu einer Sache des Herzens werden.
Die geistliche Lesung („Lectio divina“), der vertraute Umgang mit der Hl.Schrift, wird seit der Frühzeit des Mönchtums als ein wesentliches Mittel betrachtet, zur Gemeinschaft mit Gott zu gelangen. Deshalb ist ihr im klösterlichen Tagesablauf am Morgen eine feste Zeit zugewiesen.

Erst dann sind sie wirkliche Mönche, wenn sie von der Arbeit ihrer Hände leben. Müßiggang ist ein Feind der Seele. (Benediktusregel, Kap.48)

Die Arbeit im Kloster dient zunächst dem Lebensunterhalt der Gemeinschaft; doch kommt ihr darüber hinaus auch eine wichtige Bedeutung für das geistliche Leben zu.
In der Abtei St. Hildegard setzen sich die Schwestern in den verschiedensten Arbeitsbereichen ein: Weinkellerei, Buch- und Kunsthandlung, Verkauf von Dinkelprodukten und Klosterlikör, Goldschmiede, Kerzenwerkstatt, Restaurierungswerkstätte für kirchliche Archivalien. Daneben gibt es natürlich die Arbeiten, die für den Haushalt und das Gemeinschaftsleben notwendig sind: Obst- und Gemüsebau, Küche, Wäscherei, Hausmeisterei, Schneiderei und Verwaltung. Einige Schwestern widmen sich der wissenschaftlichen Arbeit, insbesondere den Werken der hl.Hildegard von Bingen. Wieder andere pflegen die alten und kranken Schwestern, deren liebevolle Betreuung der hl.Benedikt dem Abt und der ganzen Gemeinschaft besonders ans Herz legt.

In den Gästen wird Christus verehrt, der ja wirklich in ihnen aufgenommen wird. (Benediktusregel, Kap.53)
Die Sorge für Gäste und Besucher, die in ständig wachsender Zahl an die Klosterpforte kommen, ist den Gastschwestern anvertraut. In den letzten Jahren mehren sich die Anfragen, besonders von Pilger- und Jugendgruppen, nach einem Austausch, aber auch die Bitten um seelsorgliche Einzelgespräche, um Exerzitien und Besinnungstage. Die Schwestern der Abtei St. Hildegard erkennen darin einen Anruf Gottes, auf den sie, ihren Möglichkeiten entsprechend, antworten möchten.

Sobald man aber im klösterlichen Leben und im Glauben Fortschritte macht, weitet sich das Herz, und man geht den Weg der Gebote Gottes in unsagbarer Freude der Liebe. (Prolog der Benediktusregel)

Trotz der vielfältigen Arbeitsbereiche und Aufgaben darf nicht vergessen werden, daß es im benediktinisch-klösterlichen Leben niemals um Leistung schlechthin geht, sondern daß das Wichtigste letztlich die Hingabe an Gott, die täglich neue Auslieferung an die Macht seiner Liebe ist. Am Ende geht es um diese Liebe Gottes, die eine benediktinische Gemeinschaft durch ihr Dasein der Welt bezeugen will.

von Sr. Philippa Rath OSB