Die Liturgie der Karwoche / Ostern

Wir gehen dem Beginn der großen, der „Heiligen“ Woche entgegen. Das Lukas-Evangelium berichtet das Leben Jesu fast in einer Art „Reisebericht“. Wir gehen mit Jesus die letzte Wegstrecke seiner irdischen Wanderung in Richtung Jerusalem „durch Leiden und Kreuz zur Herrlichkeit der Auferstehung“, in das „himmlische Jerusalem“. Exemplarisch umschreibt ein Gebet die Stationen des Weges Jesu: „Gott wurde Mensch, er nahm Fleisch an und hat sich als Erlöser, als Heilbringer, als Salvator, dem Kreuz unterworfen.“ Darin gab er uns ein Beispiel der Demut, des Mutes anderen zu dienen. Auf diesen Weg der Nachfolge sind wir alle – durch Taufe und Firmung – berufen worden. Er führt durch Leiden zur Auferstehung. Allein schon dieses Gebet gibt uns reiche Anregungen, über unseren eigenen Weg nachzudenken. Deswegen frage ich mich seit Jahren immer wieder vor der Karwoche auf eine frühere geistliche Anregung hin: Wie, in welcher Einstellung, mit welcher Erwartung gehe ich in diese Heilige Woche hinein? Betrachte ich den Gang zum Kreuz nur als eine geschichtlich grausame Tatsache von damals, oder bemühe ich mich, nüchtern und ehrlich nach dem Ort des Kreuzes in meinem Leben Ausschau zu halten? Welche Rolle spielt das Kreuz in meinem Leben? Wo begegne ich ihm? Wo begegnet es mir? Wo wird das theoretische Wissen um das Kreuz in meinem Leben greifbare Wirklichkeit? Wir sollten wissen: die Hoffnung auf das heilsvermittelnde Kreuz ist das, was uns als Christen von anderen unterscheidet. Das heißt aber keineswegs, dass wir lebensmüde sind, nur im Dunkel unseren Lebensweg durchschreiten. Im Gegenteil: Als Christen schreiten wir mit Christus in eine größere Freiheit hinein, in ein höheres Leben jenseits des Kreuzes. Das eigentliche Ziel, für das es sich lohnt zu leben und zu sterben, ist ein Angebot Gottes, das Angebot seiner Liebe. Würden wir dieses Liebesangebot verweigern, würden wir unseren Glauben verraten. Nichts wäre in unseren Tagen schlimmer als das. Die katholische deutsche Bischofskonferenz hat uns darauf in einem Dokument vom November 2000 aufmerksam gemacht. Unter dem Titel „Zeit zur Aussaat“ werden wir alle zur Rückbesinnung auf unsere Berufung aufgefordert: Zeugen von Tod und Auferstehung Jesu zu sein, wir alle in unserem je eigenen alltäglichen Umfeld. Das ist unser priesterlicher Dienst, unser gemeinsames Priestertum, unser wahrhaftiges Christsein. Wenn wir in dieser Woche das mysterium paschale, das österliche Geheimnis feiern, sind wir im Zentrum, in der Herzmitte unseres Glaubens angelangt. Den alljährlich erneuerungsbedürftigen Weg in die Mitte unseres Glaubens können wir über fünf Schritte erwandern. Diese Schritte sind uns Christen in der ganzen Welt gemeinsam in der kommenden Kar- und Osterwoche aufgegeben.

Der Karsamstag gilt weithin als liturgiefreier Tag. Dennoch verströmen gerade die Stundengebete des Karsamstags, Matutin, Laudes und Vesper, eine Atmosphäre großer Ruhe. Vor allem die Antiphonen mit den dort auftretenden biblischen Gestalten bereiten auf das Geschehen des Ostermorgens vor. Von dieser Atmosphäre des Übergangs vom Dunkel des Karfreitags zur Morgendämmerung das Ostertags („Novi diluculo“ neu ist an jedem Morgen) sind nicht zuletzt die Stundengebete das Karsamstag geprägt. HÖREN: „Novi Diluculo


1. Schritt: sich rufen lassen 
In der Karwoche werden unsere Bischöfe in diese Kathedralen die Chrisam-Messe feiern und die heiligen Öle weihen für die Taufe, für die Firmung, für die Weihe von Bischöfen, Priestern, für die Salbung von Katechumenen und Kranken, für die Weihe von Kirchen und Altären. Schauen wir in die Hl.Schrift, so ist das Öl Symbol der Freude, der Gesundheit an Leib und Seele und eines vom Glück erfüllten Lebens. Der eigentlich Gesalbte ist Christus selbst. Werden wir in der Taufe, in der Firmung, in der Krankensalbung gesalbt, oder ein Priester am Tag seiner Weihe, so ruft uns Christus zu: „Mein Geist ruht auf dir. Ich gebe dir ein neues Herz und einen neuen Geist. Sei wie ich Zeuge meines Vaters im Himmel. Ich gebe dir Anteil an meiner Gotteskindschaft.“ So zeigt uns diese erste Station, dass wir dem ewigen Ostern entgegengehen, wenn wir unsere Herzen öffnen für dieses Geschenk, wenn wir uns von Christus mit seinem Geist beschenken und immer neu in seinen Dienst nehmen lassen. Wie sich dieser Dienst konkretisiert, sagt uns das Evangelium zur Chrisam-Messe, in dem berichtet wird, wie Jesus in der Synagoge das Wort des Propheten Jesaja hört und darin seine Berufung erkennt: „Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt , damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe.“ (Jes 61,1) Wir alle sind gesandt, auf diese Weise Zeugen zu sein. Christsein heißt demnach: glaubhafte Nachfolger Christi zu sein, sich von seiner Gnade beschenken lassen, seinen Weg mitgehen und sich von ihm in den Dienst nehmen lassen in guten und in schweren Tagen. Jeder und jede von uns sind aufgerufen, „unserer Berufung getreu“ überzeugend zu leben und in diesem Sinn zu den Mitmenschen von heute aufzubrechen. Schon Paulus spricht seine Gemeinde in Korinth auf die Berufung an: „Jeder soll so leben, wie der Herr es ihm zugemessen, wie Gottes Ruf ihn getroffen hat. Das ist meine Weisung an alle Gemeinden.“ (1 Kor 7, 17)

2. Schritt: annehmen
Der Gründonnerstag ist einer der großen Tage im Kirchenjahr, der auf allen Ebenen Gottes Liebe zu uns in Jesus Christus verkündet. Im Hochgebet der Hl. Messe wird er in der lateinischen Urfassung „dies traditionis“, Tag der Tradition, der Überlieferung genannt. Tradition heißt wörtlich: Jemand gibt etwas weg, aus seiner Hand fort in eine andere. Alles übergibt er in dieser Weggabe einem neuen Besitzer. Gründonnerstag ist der Tag, an dem Gott sich in Christus uns Menschen übergibt. Wir sind beschenkt, wenn wir diese Gabe der Liebe Gottes annehmen. Wie sich die Liebe Gottes ausbuchstabiert, das erfahren wir in zwei Zeichen des Wirkens Jesu an seinen Jüngern, an jedem und jeder von uns. Das erste ist: Jesus nimmt uns auf in seine Mahlgemeinschaft, holt uns an den himmlischen Tisch, wo er mit dem Vater und dem Heiligen Geist in Mahl der Liebe verbunden ist. Der russische Ikonenmaler Rubljew hat dies in seiner weltweit bekannten Dreifaltigkeitsikone unnachahmlich dargestellt: Vater, Sohn und Heiliger Geist sitzen in Gestalt von drei Engeln zusammen an einem Tisch. Das ist der Tisch, die himmlische Heimat, die Christus täglich neu schenken will. Nehmen wir das Geschenk seiner Mahlgemeinschaft an, dann finden wir auch schon in dieser irdischen Welt Heimat in ihm. Das zweite Geschenk des Gründonnerstags ist uns im Johannesevangelium überliefert: „Jesus stand vom Mahl auf, legte sein Gewand ab und umgürtete sich mit einem Leinentuch. Dann goß er Wasser in eine Schüssel und begann, den Jüngern die Füße zu waschen.“ In dieser Geste erweist sich Jesus ganz und gar als Diener, als einer, der sich mit den Geringen, den Armen und Armseligen, den Machtlosen solidarisiert. Und gerade darin offenbart sich seine Liebe. Gertrud von le Fort umschreibt diesen liebenden Christus in den Hymnen an die Kirche so: „Ich bin unverbittert Liebe, ich bin unerbittlich Liebe, ich bin bittende Liebe… Liebt mich wieder, liebt euch alle – und verstummt.“ Nehmen wir in diesen Tagen doch Gottes Liebe in Jesus Christus neu an. Stimmen wir mit ein in den Lobgesang der Liebe und setzten wir ihn um in unseren Alltag: „Ubi caritas et amor, Deus ibi est.“ – Wo die Güte und die Liebe, da ist Gott.

3. Schritt: loslassen 
Bevor wir am Karfreitag des Leidens und Sterbens Jesu Christi gedenken, müssen wir noch auf die Nacht schauen, die seinem Tod vorausging. Er erkannte, dass er verraten und verleugnet würde, sogar von seinen Jüngern, von Menschen seines Vertrauens. In seiner Not zieht er sich auf dem Ölberg zurück, sucht eine Ruhestätte des Gebetes, um darin ins Gespräch mit Gott, seinem Vater, zu kommen. An diesem Ort lernt er, das „Vater unser“, das er seine Jünger gelehrt hatte, in seine eigene Existenz umzusetzen, sein Ja zum Kreuz zu finden mit den Worten. „Nicht mein, sondern dein Wille soll geschehen.“ Wenn wir am Karfreitag des Kreuzestodes Jesu gedenken und uns anbetend in der Kreuzverehrung vor ihm verneigen, uns so solidarisch mit seiner Mutter und Johannes unter sein Kreuz stellen, gerade in der schweren Stunde zu ihm stehen, ihm die Treue bewahren, dann übergeben wir uns mit ihm in die Hände seines, unseres Vaters im Himmel. Zudem haben wir in den großen Fürbitten die Chance, alle Nöte und Sorgen der ganzen Menschheit in seine Hände zu übergeben. Damit lassen wir alles los, was unserem Willen entspricht und übergeben es wie Jesus Christus ganz in die Hände des Vaters. Nur im Loslassen können wir dann einstimmen in den Gesang während der Kreuzverehrung und aus dem Herzen beten: „Denn siehe, durch das Holz des Kreuzes kam Freude in alle Welt.“ Wie kann man denn sagen, das Kreuz sei Ursache der Freude? Wie kann ein Mensch überhaupt zum Kreuz, zu Leid, Schmerz, Krankheit, Armut und Verzweiflung Ja sagen und das noch als Ursache von Freude benennen? Es gibt keinen anderen Weg, als uns und unser Leid mit der Passion Jesu Christi zu verbinden. Zu welchem Heilsweg dieser Glaubenssprung führen kann, ist uns z.B. unvergeßlich von Gläubigen überliefert, die in schwerer Not davon Zeugnis gegeben haben. Ein Beispiel möchte ich am Ende dieses dritten Schrittes benennen. Am 21. Februar 1944 wurde ein Berliner Pfarrer, Alfons Maria Wachsmann, in Brandenburg Görden hingerichtet wegen seiner Glaubenstreue. In seinem letzten Brief an seine Schwester sind uns zutiefst beeindruckende Worte geschenkt: „Nun ist die Stunde gekommen, die Gott in ewiger Liebe für mich bestimmt hat… In einer Stunde gehe ich hinüber in die Herrlichkeit Gottes. Ich habe mich ganz und restlos und ohne jeden Vorbehalt Gott ergeben. In Seiner Hand bin ich geborgen. In Seinem heiligen Herzen wird mich Christus hinüberreichen zum Vater… Sei nicht mutlos! Vertrau auf Gott! Er hat mich nicht verlassen. Die acht Monate meiner Vorbereitung auf die Ewigkeit waren schwer, aber doch sehr schön… Liebe Minka, auf Wiedersehen im Himmel!“ Mit diesen Worten möchte ich uns allen neuen Mut geben, im Vertrauen auf das Kreuz Christi alles loszulassen in der glaubenden Vorausschau auf die ewige Heimat.

4. Schritt: sich übergeben 
Der Karsamstag ist ein Tag des Schweigens. Zwar ist er noch von Klage und Trauer verdunkelt, dennoch strahlt in aller Dunkelheit schon ein zartes Hoffnungslicht auf. Eine verklärte Ruhe liegt über dem Tag, die uns eine Vorausschau dessen schenkt, was in einem Hymnus des Morgengebetes der Fastenzeit, mit dem wir uns ganz intensiv auf das Osterfest vorbereiteten, so ausgedrückt wird: „Der Tag kommt wieder, ja dein Tag, da alle Schöpfung neu erblüht; wir wollen uns seiner freuen, durch ihn zu deiner Gnade heimgeführt.“ Der Karsamstag ist ein Tag des Vorfrühlings. Schon zu seiner irdischen Lebzeit hatte Jesus seinen Jüngern prophezeit: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein“ (Joh 12, 24), und ich füge hinzu: nur dann kann etwas aufblühen und reiche Frucht bringen. Als Christuszugehörige warten wir am Karsamstag mit ihm dem Tag, an dem alles neu erblüht, dem Auferstehungstag entgegen. Das heißt jedoch nicht, daß Trauer und Schmerz am Grab verdrängt werden dürfen. Im Stundengebet der Kirche, wie wir es in unserer Abtei St. Hildegard beten, hören wir deshalb in den „Tenebrae“, in der Stunde da wir der Dunkelheit, der Finsternis, der Trübnis dieses Tages gedenken, Teile aus den Klageliedern des Alten Testaments. Das Elend in Jerusalem und darüber hinaus aus der ganzen Kirche und Welt wird darin vor Gott getragen. Überraschenderweise werden darin auch Ströme von Tränen zu Quellen der Hoffnung. Leiderfüllte Beter nähern sich mehr und mehr dem Lobpreis der Barmherzigkeit Gottes. In der ersten Lesung hören wir: „Die Huld des Herrn ist nicht erschöpft, sein Erbarmen ist nicht zu Ende. Neu und groß ist an jedem Morgen deine Treue. Mein Anteil ist der Herr, darum harre ich auf ihn. Gut ist der Herr zu dem, der auf ihn hofft, zur Seele, die ihn sucht. Gut ist es, schweigend zu harren auf die Hilfe des Herrn.“ (Klgl 3, 22 – 26) Karsamstag ist demnach der Tag, an dem wir uns neu – mit Worten des Apostels Paulus – dem Glauben als „Hoffnung gegen alle Hoffnung“ (Röm 4, 18) übergeben.

5. Schritt: aufstehen 
Endlich wird der Tag kommen, der im Glauben von einer Posaune der Freude, vom Halleluja umjubelt, von Strahlen herrlichen Lichtes, vom Christuslicht verklärt ist. Flammt das Osterfeuer auf, wird die Osterkerze entzündet, erschallt endlich das Exsultet, das Osterlob: „Frohlocket…, preiset…, singet…, freut euch… O wahrhaft selige Nacht, die Himmel und Erde versöhnt, die Gott und Menschen verbindet“, dann ist Christus, unsere Hoffnung, unser Licht, das alle Finsternis erleuchtet, wieder ganz in unserer Mitte. Und wir antworten ihm mit einer Dankeshymne an Gott, den Vater. Die Osternacht verkündet uns: Wir sind für die Freude geschaffen, Christ ist, wer froh und frei ist. Auch der graueste Alltag wird erhellt von einem Schimmer dieser Freude, die uns in Fülle verheißen ist. In den letzten Jahren habe ich mich immer wieder gefragt: Geben wir von dieser Frohbotschaft in unserer Zeit noch glaubwürdig Zeugnis? Immer wieder hört man in der Presse von Umfrage-Ergebnissen, die vom Schwinden des Glaubens der Christen an die Auferstehung Jesu und der Toten sprechen. Wenn es wirklich so ist , dann sollten wir uns neu besinnen auf die Worte des Apostel Paulus, der im 1. Brief an die Korinther schreibt: „Wenn Christus nicht auferweckt worden ist, dann ist euer Glaube sinnlos.“ (1Kor 15) Wenn wir nun in die heilige Woche hineingehen, aber nicht mehr an die Auferstehung glauben, verraten wir unseren Glauben. So müsste sich jeder und jede von uns fragen: Wo stehe ich? Bin ich bereit, im Glauben mit Christus neu aufzustehen? Ist der Auferstehungsglaube in mir wirklich lebendig? Gebe ich im Alltag glaubwürdig Zeugnis für eine hoffnungsvolle Zukunft? Bin ich wirklich ein österlicher Mensch? Lasse ich das Licht der Osterkerze in mein Herz hineinleuchten? Gebe ich der Freude in mir Raum? Bin ich mir bewußt, daß ich verantwortlich bin für die Freude, verantwortlich vor Gott, der uns in Christus die Erlösung zugesagt hat? Glaube ich wirklich, daß mit Ostern für uns und unser Leben etwas Neues angebrochen ist? Lasse ich mich von der österlichen Aufbruchstimmung in den Verwandlungsprozess aufnehmen? Wir haben in der Osternacht die besondere Gelegenheit, die Bereitschaft zum neuen Aufbruch zu besiegeln. Das ist der Sinn der Tauferneuerung. Je offener, entschiedener, großherziger jeder und jede von uns diesen Schritt der Erneuerung geht, um so mehr wird die große Freude und Freiheit von Ostern in der Weltkirche wachsen. Sagen wir gemeinsam Ja zum Gekreuzigten und Auferstandenen, seien wir ein lebendiges Alleluia, leben wir aus der österlichen Freude und geben wir so Zeugnis für den Christus der Herrlichkeit, rufen wir gemeinsam: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bist du kommst in Herrlichkeit.“ Dann wird ER mit unserer Mitarbeit das Angesicht der Erde erneuern!

Sr. Christiane Rath OSB