Der große Bogen des Anfang(en)s in der Heiligen Schrift und in der Benediktsregel

Im ersten Kapitel des ersten Buches der Heiligen Schrift und im letzten Kapitel des letzten Buches der Heiligen Schrift ist vom „Anfang“ die Rede: „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde“, so sagt uns das Buch Genesis (Gen 1,1). Und am Schluss, in der Offenbarung des Johannes, spricht Gott selbst direkt zu uns: „Siehe, ich komme bald. Ich bin das Alpha und das Omega, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende“ (Apk 22, 13). In einem großen, geradezu kosmischen Bogen ist hier die ganze Heilsgeschichte von der Schöpfung bis zur Vollendung in diesem einen Wort vom „Anfang“ zusammengefasst – ein grandioses Szenarium eröffnet sich uns da, und unserer bescheidener Anfang miteinander hier und heute wird auf einmal unendlich groß, ist eingebettet in Gottes Ewigkeit.

Unseren Anfang setzen wir uns nicht selbst – wir wurden angefangen sozusagen, hineingeboren in eine Welt, die schon war. Gott selbst hat uns ins Dasein gerufen, hat uns unseren Anfang geschenkt – aus reiner Gnade und aus reiner Liebe. Und dieser Anfang ist kein einmaliges Geschehen – das ist das Großartige an ihm. Es ist ein Prozess, ein ewiges und immer neues Wachsen und Reifen von Anfang zu Anfang.

Der jüdische Schriftsteller Felix Braun hat dies in einem wunderbaren Gedicht mit dem Titel „Ewigkeit“ einst so beschrieben:

„Uralt bin ich – vom Anfang komm ich her –
Nun müd von tausendfältiger Gestalt.
Mein Los ist: jedes Blatt zu sein im Wald.
Mein Los ist: jede Welle sein im Meer.

Ich leb von von Anfang zu Anfang,
von Wiederkehr zu Wiederkehr.
Nehm stets in anderm Atem Aufenthalt.
So leb ich schwebend: weder hier noch dort.

Und schaudre, dass ich mich so oft verlor
Und immer wieder fand: in diesem Wort.
Von Anfang zu Anfang bis in Ewigkeit.“

Hören Sie die Anklänge an die Doxologie heraus, die wir und die ganze Kirche seit ihren Anfängen Tag für Tag so oft und immer wieder beten: „Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist – wie es war im Anfang so auch jetzt und alle Zeit und in Ewigkeit. Amen.“ Kein geringerer als der dreifaltige Gott selbst ist unser Anfang und unser Ziel, unsere Sehnsucht und unsere Erfüllung, unsere Zeit und unsere Ewigkeit. „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde“, im Anfang auch, so heißt es im Prolog zum Johannesevangelium „Im Anfang war das Wort“, das Leben spendende Wort, das menschgewordene Wort Jesus Christus. Und auch der Heilige Geist, so berichtet uns die Apostelgeschichte im Kap. 11,15 „kam von Anfang an auf uns herab“, so wie einst im Anfang Gottes Geist über den Wassern schwebte (Gen 1,2).

Schauen wir auf den lateinischen Bibeltext, so fällt auf, dass es zwei Begriffe für „Anfang“ gibt: „initium“ und „principium“. Initium ist dabei immer der einmalig gesetzte Anfang – principium aber der Anfang, der sich wie ein roter Faden durch die ganze Schöpfungs- und Erlösungsgeschichte hindurchzieht, der immer wieder neu zum Aufbruch einlädt, der Gottes Anfang sozusagen zum Seinsprinzip werden lässt: „sicut erat in principio et nunc et semper, et in saecula saeculorum“.

Ebenso wie die Heiligen Schrift so ist auch die Regel des hl. Benedikt vom „Anfangen“ gleichsam umfangen. Im ersten und im letzten Kapitel der Regel ist vom Anfang die Rede. Im Prolog, Vers 4 heißt es: „Sooft du etwas Gutes zu tun beginnst [d.h. anfängst], bitte zuerst inständig darum, dass er [Gott] es vollende“. Hier ist er wieder, der Gedanke, dass wir es aus eigener Kraft eben nicht vermögen, dass allein die Gnade Gottes uns zum Anfangen bewegt und dass nur Er allein es ist, der unser Tun vollenden kann. Wir sind und bleiben auf Gottes vorausgehende Liebe und auf seine Hilfe angewiesen. Die Spannung zwischen der Freiheit des Menschen und seinem Angewiesensein auf die Barmherzigkeit Gottes bleibt immer bestehen.

Ihren ganz und gar authentischen Ausdruck findet diese Spannung in dem Ruf: „O Gott, komm mir zu Hilfe – Herr, eile mir zu helfen. Deus, in adiutorium meum intende; Domine, ad adiuvandum me festina“. Siebenmal am Tag beten wir diesen Flehruf am Anfang jeder Hore. Sie prägt sozusagen den Anfang unseres Betens. Nicht umsonst haben die Mönchs- und Wüstenväter ihren Schülern und damit auch uns diesen Ruf als immerwährendes Gebet empfohlen. Es ist ein Gebetsruf voller Kraft und voller Weisheit, ein Ausdruck wahrer Demut vor der Größe Gottes, ein Wissen um die eigene Begrenztheit, ein vertrauensvolles Sich-Hineinbegeben in die Hände Gottes.

Im letzten, dem 73. Kapitel der Regel sagt der hl. Benedikt: „Diese bescheidene Regel haben wir für Anfänger geschrieben“ (RB 73,8), damit wir durch ihre Beobachtung „einen Anfang im klösterlichen Leben bekunden“ (RB 73,1). Zweimal ist hier am Schluss noch einmal vom Anfangen die Rede, fast so, als solle sich ein geheimnisvoller Kreislauf vollenden. Diesen geheimnisvollen Kreislauf hat Silja Walter einmal in einem kurzen Gedicht ganz wunderbar beschrieben:

ANFANG

Habe ich also die Regel
bis ans Ende gelebt,
dann bin ich ein vollendeter
Anfänger oder endlich ein
Anfänger geworden, endlich
nichts als ein aus dem
Anfang lebender Mensch.“

Im Regelkommentar der Salzburger Äbtekonferenz heißt es zu der eben genannten Stelle aus dem 73. Kapitel der Benediktsregel:

„Mit der Wendung vom Anfang im klösterlichen Leben schwächt der hl. Benedikt seine Regel nicht ab und meint nicht den Anfänger im klösterlichen Leben, sondern den Mönch, der angesichts der Weisung Christi zu Gerechtigkeit und Vollkommenheit immer und ein Leben lang einen Anfang machen muss … Benedikt steht mit dieser Formulierung vor allem in der Tradition der Wüstenväter, wo das Bewusstsein vom Anfangen zu immer neu vollzogener Umkehr führt.“ In diesem Sinne gehört das Immer-neu-anfangen in der Tat ganz eng und unmittelbar zu unserer Berufung. Es ist der Kerngedanke unseres Gelübdes der „Conversatio morum“ – des klösterlichen Lebenswandels, das uns auffordert, jeden tag neu zu beginnen.

Wir sehen also, dass der Gedanke des Anfangs und des Anfangens die ganze Heilige Schrift und auch die ganze Benediktsregel durchzieht. Anfangen wird so zum Leitfaden für ein christliches und auch für ein benediktinisches Leben. Christliches und auch benediktinisches Leben aber ist ganz und gar österliches Leben. Ohne Ostern, ohne den Glauben an die Auferstehung, wäre unser Leben sinnlos. Nur, wenn wir österliche Menschen werden, so werden wir auch wirklich Menschen des Anfangs. Denn Ostern, so sagt Karl Rahner, „Ostern ist der Anfang der Vollendung. Ostern proklamiert einen Anfang, der schon über die fernste Zukunft entschieden hat. Auferstehung sagt: der Anfang der Herrlichkeit hat schon begonnen. Und was so begonnen hat, das ist daran, sich zu vollenden …“

Sie waren auch nur Anfänger: Menschen der Bibel als Leitbilder des Anfangs

Betrachten wir nun in einem zweiten Schritt sieben biblische Gestalten des Anfangs. In den Menschen, die im Alten Testament Jahwe und im Neuen Testament Jesus begegnen, bricht etwas auf. Die Begegnung mit dem lebendigen Gott fordert sie heraus, öffnet sie für ein neues Leben, ja macht sie zu neuen Menschen. Der Anfang, den die Begegnung mit Gott und mit Jesus Christus, seinem Sohn, in Menschen bewirkt, ist immer zugleich Scheidung und Entscheidung. Eine ganze Spannweite von Reaktionen – von der Hingabe und Nachfolge bis zum Zweifel und zur völligen Ablehnung – findet sich in der Heiligen Schrift. Es gibt viele Möglichkeiten anzufangen – oder auch, den Anfang zu verpassen. In der ein oder anderen Gestalt des Anfängers können wir uns selbst, unsere Eigenart und Eigen-heiten vielleicht wiederfinden. Vielleicht können wir von diesen Menschen, die vor uns anfingen, auch lernen, können uns Mut zusprechen lassen, den Aufbruch immer neu zu wagen.

Abraham – „Sein Glaube wurde ihm als Gerechtigkeit angerechnet“ (Röm 4,9)

Zu den ganz großen Gestalten des Anfangs gehört Abraham. „Zieh fort aus deinem Land, aus deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde! Ich will dich zu einem großen Volk machen. Ich will dich segnen und deinen Namen groß machen. Du sollst ein Segen sein… Da zog Abraham fort, wie ihm Jahwe befohlen hatte. Er war fünfundsiebzig Jahre alt, als er von Haran wegzog. Abraham nahm seine Frau Sarai, seinen Neffen Lot und all ihre Habe, die sie besaßen. Dann brachen sie auf, um in das Land Kanaan zu ziehen (Gen 12,1-4).

Ein eindeutiger und unkomplizierter Anfang: dem Ruf Gottes folgt die Tat, ohne Zögern und Zaudern. Solches Hören und Gehorchen hatte der hl. Benedikt wohl vor Augen, als er sein Kapitel über den Gehorsam niederschrieb: „Die höchste Stufe der Demut ist der Gehorsam ohne Zögern … Wie in einem einzigen Augenblick folgt in der Schnelligkeit der Gottesfurcht beides sofort aufeinander: der ergangene Befehl des Meisters und die ausgeführte Tat des Jüngers.“ (RB 5,1 und 9).

Abraham glaubte dem Anruf Gottes und glaubte der Verheißung, die an ihn erging. Und er machte sich auf den Weg – obwohl er bereits 75 Jahre alt war. Wer weiß: vielleicht hat er wie später nach ihm der greise Simeon oder die alte Witwe Hanna sein Leben lang auf diesen Anruf gewartet. Und heute und jetzt ist er bereit, sich auf den Weg zu machen und alle Sicherungen des Lebens hinter sich zu lassen. Zum Anfangen gehört das Loslassen, das Hinter-sich-lassen. Wer einmal die Hand an den Pflug gelegt hat, soll nicht zurückschauen – oder wie es beim hl. Benedikt in Kap. 58,24 heißt: „Der Novize soll nichts für sich zurückbehalten – nihil sibi reservans ex omnibus“.

Jeremia – „Ach Herr, ich weiß nicht zu reden, ich bin zu jung“ (Jer 1,6)

Der Anfang des Propheten Jeremia könnte fast eine Art Gegenbild zu dem des Abraham sein. Jahwes Wort und Ruf erging an Jeremia – und dieser hat Angst: „Ach, Herr, ich weiß nicht zu reden, ich bin zu jung“. Er traut es sich nicht zu, er zögert und er verhandelt mit Jahwe, seinem Gott. Zweimal muss Jahwe ihm sagen: „Hab keine Angst, fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir.“ (Jer 1,8; 1,17). Erst danach begreift Jeremia, was an ihm geschehen ist und lässt sich in Dienst nehmen. Ein Prophet wider willen, könnte man sagen – ein Anfänger, dem zuerst einmal das Wörtchen „Aber“ über die Lippen kommt, weil er ob seines jugendlichen Alters unsicher, vielleicht auch schüchtern ist und wenig Selbstbewusstsein hat. Vielen von uns mag Jeremia mit seinen Zweifeln zunächst näher liegen als Abraham, der so unzweideutig und souverän den neuen Anfang gewagt hat.

Für den hl. Benedikt spielte das Alter für die Berufung zum Neuanfang – wie wir wissen – ebenso wenig eine Rolle wie einst für Jahwe. „Nirgendwo im Kloster darf das natürliche Alter die Rangordnung bestimmen oder beeinflussen. Haben doch Samuel und Daniel, obgleich sie noch jung waren, über Alte Gericht gehalten.“ (RB 63,5.6) Und im Abtskapitel 64,2 heißt es: “Man soll aber den wählen und einsetzen, der verdienstvolles Leben und Lehrweisheit verbindet, wenn er auch in der Rangordnung der Klostergemeinde der Letzte wäre.“ Nicht das Alter ist entscheidend, sondern der Ruf des Herrn, der jedem Anfang vorausgeht. Wen Gott ruft, dem gibt er auch die Kraft zum Anfangen – gegen alle Angst und gegen alle inneren Widerstände.

Der reiche Jüngling – „Und er ging traurig weg, denn er hatte ein großes Vermögen“ (Mk 10,22)

Gott gibt die Kraft zum Anfangen, aber er übt keinen Zwang aus. Unsere menschliche Freiheit reicht so weit, dass wir auch Nein sagen und den Anfang verweigern können. Dafür ist der reiche Jüngling ein sprechendes Beispiel. Was Jesus vom reichen Jüngling erwartet, ist nicht nur viel, sondern alles: “Geh, verkaufe alles, was du hast … dann komm und folge mir nach“. „Er hatte ein großes Vermögen“, heißt es dann. Und dieses Vermögen war sicher nicht nur Geld. Besitzen können wir ja unendlich vieles: Einfluss, Ansehen, Macht, bestimmte Fähigkeiten, Beziehungen, eine soziale Stellung. Dies alles aufzugeben und neu anzufangen ist unendlich schwer. Auch dann, wenn wir wirklich auf der Suche sind. Der reiche Jüngling war ein Suchender, der im Grunde genommen kurz vor dem Durchbruch stand. Das hat Jesus ganz sicher gewusst. Denn nicht umsonst heißt es ja: „Da sah Jesus ihn an, und weil er ihn liebte, sagte er: eines fehlt dir noch…“ Echte Liebe fordert Ganzhingabe. Sie kann sich nicht mit Halbheiten zufrieden geben. Der reiche Jüngling geht traurig weg. Er will neu werden, kann aber vom Alten nicht lassen. So verpasst er den Kairos, den Anfang eines neuen Lebens. Fragen wir uns einmal, was wohl das eine ist, das uns noch fehlt. Wenn wir wirklich anfangen wollen, dann müssen wir dieses Eine heraus-finden und uns Stück für Stück von ihm zu lösen versuchen.

Im 33. Kapitel der Benediktusregel ist ebenfalls vom Loslassen von Eigentum die Rede – und auch hier ist keineswegs nur der materielle Besitz gemeint. Hier in diesem Kapitel wird der hl. Benedikt im wahrsten Sinne des Wortes radikal: „hoc vitium radicitus amputandum est“. Er nennt den Eigenbesitz ein Laster, das radikal, d.h. mit der Wurzel ausgerissen werden muss. Erst dann werden wir frei – frei für Gott und frei für die Gemeinschaft: „Alles sei allen gemeinsam, so dass niemand etwas sein Eigentum nennt oder es als solches beansprucht“. (RB 33,6). Und vom Novizen wird vor der Profess verlangt:“ Wenn er Vermögen hat, soll er es vorher an die Armen verteilen oder es in einer feierlichen Schenkung dem Kloster vermachen.“(RB 58,24)

Petrus – „Er bekam Angst und begann unterzugehen“ (Mt 14,30)

Petrus ist in vieler Hinsicht eine typische Anfangs-Gestalt. Schon bei seiner Berufung am See von Galiläa hat er gezeigt, dass er ein Mann der schnellen Entschlüsse war. Jesus ruft sie, und Petrus und sein Bruder Andreas lassen buchstäblich alles stehen und liegen und folgen dem Herrn. Menschen, die spontan Ja sagen und sich bereitwillig engagieren, sind herzerfrischend. Manche mögen sich fragen: ist solch ein Anfang überhaupt verantwortbar? Doch täuschen wir uns nicht: nicht jeder schnelle Entschluss und spontane Anfang wird später bereut – dafür gibt es in unserer Gemeinschaft durchaus eindrucksvolle Beispiele.

Auch Petrus hat seinen Anfang in Galiläa nie bereut. Aber er hat im Laufe seines Weges der Nachfolge den ein oder anderen „Dämpfer“ erhalten. So bei seinem nächtlichen Gang über den See. Voller Begeisterung stieg er da aus dem Boot und wollte seinem Herrn und Meister auf dem Wasser entgegengehen. „Als er aber sah, wie heftig der Wind war, bekam er Angst und begann unterzugehen“. Übermut und Leichtsinn hatten ihn gepackt, er hatte sich zuviel zugetraut. Dem Sturm, womöglich dem Gegenwind, war er nicht mehr gewachsen. Und dann kam die Angst, und die Hochgemutheit des Anfangs war wie weggeblasen. Warum habe ich das alles nur angefangen, mag er sich gefragt haben. Wer einen Anfang macht, muss auch den Mut haben, Schluss zu machen, wenn er erkennt, dass er sich geirrt oder verrannt hat. Petrus hatte diesen Mut und war auch nicht zu stolz, seinen Herrn um Hilfe anzuflehen. „Jesus streckte sofort die Hand aus und ergriff ihn“ – ist das nicht ein wunderbar tröstlicher Gedanke? Gott rettet uns, wenn wir uns verrannt haben – wir müssen ihn nur darum bitten.

In der Vita des hl. Benedikt (Kap. 7) gibt es die bekannte Geschichte von Maurus, der auf Geheiß seines Meisters Benedikt über das Wasser geht und den kleinen Placidus vor dem Ertrinken rettet. Diese Geschichte ist der Matthäus-Perikope vom Gang des Petrus über den See nachempfunden. Wenn Sie genau hinschauen, werden Sie entdecken, dass es zwischen beiden Erzählungen einen kleinen, aber sehr bedeutsamen Unterschied gibt. Während Petrus vom Herrn selbst gerettet wird, schickt der hl. Benedikt seinen Schüler Maurus. Dieser, so heißt es „erbat und empfing den Segen und lief auf Befehl seines Abtes“, um den kleinen Placidus zu retten. Hier kommt – wie wir sehen – der Gedanke der Stellvertretung in den Blick. Der Segen des Abtes Benedikt bewirkt das Wunder – nicht das eigene Vermögen des Maurus. Wir können also auch einander wunderbare Start-Helfer sein und zum Retter werden, wenn der Anfang auch einmal misslingt. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass wir an die Vollmacht Gottes glauben und uns von ihm wie ein Werkzeug in Dienst nehmen lassen.

Der jüngere Sohn des barmherzigen Vaters – „Ich will aufbrechen und zu meinem Vater gehen“ (Lk 15,18)

Ein unübertrefflicher Neuanfang ist in dem Gleichnis vom verlorenen Sohn bzw. vom barmherzigen Vater beschrieben. Aus jugendlichem Freiheitsdrang heraus hat der Sohn die als zu eng empfundene Heimat verlassen. Er ist ausgebrochen aus alten Konventionen und und scheinbar fesselnden Bindungen. In der Fremde will er ganz von vorne anfangen. Doch er kann keine neuen Wurzeln schlagen, sondern bleibt ein Fremder in einem fernen Land. „Es ging ihm sehr schlecht“, schreibt der Evangelist nüchtern und schonungslos. Diese neue und unerwartete Erfahrung bringt ihn dazu, sich zu erinnern und an das zu denken, was er leichtfertig verlassen hat. Aus dem wehmütigen Blick zurück entstehen in einem zweiten Schritt Einsicht und Reue. Da ging er in sich, wörtlich: da kehrte er zu sich selbst zurück. Dann die Entscheidung: “Ich will aufbrechen und zu meinem Vater gehen“. Der Aufbruch des Sohnes ist Rückkehr und Heimkehr. Zu einem echten Neuanfang aber kommt es erst durch die Aufnahme und Annahme des Vaters:“ Der Vater sah ihn schon von weitem kommen, und er hatte Mitleid mit ihm. Er lief dem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn“ (Lk 15,20). Einen wirklich neuen Anfang, der neues Leben verheißt und Vergebung können wir uns nicht selbst geben. Der Mensch kann umkehren, er kann aufbrechen und neu anfangen. Ob er aber ankommt und angenommen wird, das steht nicht in seiner Macht. Ein solcher Anfang kann ihm nur vom liebenden und barmherzigen Vater geschenkt werden.

Die Benediktusregel sieht im Abt u.a. auch ein Abbild dieses barmherzigen Vaters. Im 27. Kapitel (für mich eines der schönsten der ganzen Regel) ist beschrieben, wie der Abt mit einem sich verfehlenden Bruder umgehen soll. „Er hatte solches Mitleid mit dessen Schwäche, dass er ihn huldvoll auf seine heiligen Schultern nahm und so zur Herde zurücktrug“ (RB 27,9) Der barmherzige Vater, der zugleich der gute Hirte ist, gewährt dem Sünder immer wieder die Möglichkeit zur Umkehr und zum Neuanfang. Einsicht und Reue werden dabei als selbstverständlich vorausgesetzt. Denn nur so können auch Buße und Strafe als heilsam verstanden werden. Denn letztlich geht es immer um das Heil des Menschen. Deshalb lauten auch die letzten Worte der sogenannten Strafkapitel 23-30: „Ut sanentur – damit sie geheilt werden“.

Maria – „Mir geschehe, wie du es gesagt hast“ (Lk 1,38)

Als letzte möchte ich Ihnen die Gottesmutter Maria als Leitgestalt des Anfangs vor Augen stellen. In dem Wort „Mir geschehe“ sind Marias Anfang und ihr weiterer Lebensweg als Erfüllung dieses Anfangs eingeschlossen. Gott ist es, der den Anfang macht, der Maria erwählt und für würdig erfunden hat, seinen Sohn zur Welt zu bringen. Maria wird von Gott direkt angesprochen und ganz – mit Leib und Seele – eingefordert. Die Verheißung des Engels aber bedarf des „Fiat“, der Zustimmung, des Vertrauens und der Annahme dieses neuen Anfangs. Maria hat die Größe und die Demut zugleich, sich dem Unglaublichen zu öffnen und ihre menschliche Freiheit in den Dienst des göttlichen Heilsplanes zu stellen. So wird Gott in ihr Mensch – und sie selbst wird damit die neue Eva, der erste neue Mensch. Darin liegt ihre einzigartige Würde. Darin liegt aber auch die Zusage, dass jedes von einem Menschen, d.h. auch von uns, gesprochene „Fiat“ einen neuen und ewigen Anfang eröffnet, der uns die Erfüllung all unserer Sehnsucht verheißt.

Die Gottesmutter kann uns ein wirkliches Vorbild sein. Für unseren Zusammenhang ist es wichtig, den neuen Anfang immer dann zu entdecken, wenn es uns gelingt, die eigene Lebensplanung los zu lassen und einzuwilligen in den Lebensplan Gottes mit uns. Dies ist eine lebenslange Aufgabe. Es ist der immer neue Anfang, den es immer wieder neu gilt, in die kleine Münze des Alltags umzusetzen.

Haben Sie sich wiedererkannt in einem dieser Anfänger, vielleicht sogar in mehreren? Die Ähnlichkeiten zwischen den Menschen der Bibel und uns heutigen Menschen sind manchmal frappierend. Wahrscheinlich war das zu allen Zeiten so, denn die Bibel will ja im jeweiligen Heute gelesen und verstanden werden. Sie hält uns den Spiegel Gottes vor, der uns weiter kommen lässt auf unserem Weg der Menschwerdung.

3) Das Bleiben als Brücke zwischen Anfang und Ziel

Kehren wir nun noch einmal zu unseren grundsätzlichen Überlegungen am Anfang. zurück. „Ostern“, so hörten wir aus dem Mund Karl Rahners, „Ostern ist der Anfang der Vollendung“. Ein guter Anfang ist wichtig. Aber es gilt eben auch: Kein Anfang ohne Ende, kein Aufbruch ohne Vollendung. Seinen Sinn erhält der Anfang durch das Ziel, der Heimkehr zu Gott. Unser ganzes Leben und Streben, so sagt uns der hl. Benedikt, ist dieser Weg der Heimkehr zum Vater.

Der hl. Benedikt weist auch auf die Grundhaltungen hin, die notwendig sind, um vom guten Anfang zum Ziel zu gelangen. Allen voran nennt er das Bleiben, die Treue, das Standhalten, die Beständigkeit. Der Weg, so sagt er ganz nüchtern, „kann am Anfang nicht anders als eng sein“ (Prolog 48). Beliebiges Aufhören, immer wieder nach Neuem Ausschau-Halten verhindert den Durchbruch zum Ziel. So ist für Benedikt das Bleiben der Garant des Anfangens. Urbild des Bleibens ist dabei die Treue Gottes zu seiner Schöpfung, zu seinem auserwählten Volk: “Jahwe, dein Gott, ist der Gott; er ist der treue Gott; noch nach tausend Generationen achtet er auf den Bund und erweist denen seine Huld, die ihn lieben und auf seine Gebote achten (Dtn 7,8-9). Und Paulus bekräftigt im zweiten Timotheusbrief: “Wenn wir untreu sind, bleibt er doch treu, denn er kann sich selbst nicht verleugnen“ (2 Tim 2,13).

Die Heilige Schrift ist voll von Geschichten über Menschen, die treu geblieben sind und ausgeharrt haben. An ihnen wird deutlich, was das Bleiben als Brücke zwischen dem Anfangen und dem Ziel bedeutet. Im Alten Testament etwa die Gestalt der Rut, die ihrer Schwiegermutter zusagt: „Wohin du gehst, dahin gehe auch ich. Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott.“ (Rut 1,16). Im Neuen Testament dann der große Bleibende, der hl. Joseph, der treu blieb, auch als er nicht verstand. Dann natürlich Maria, die geblieben ist und zusammen mit den anderen Frauen ihrem Sohn folgte bis unter das Kreuz. Sie alle können uns Vorbild und Ansporn sein auf dem Weg vom Anfang zum Ziel. Dem Bleibenden gilt am Ende Jesu Verheißung: „Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht“ (Joh 15,4-9).

Es gibt einen schönen Text von Dom Helder Camâra, der das Beginnen und das Bleiben wunderbar zusammenfasst:

„Es ist eine göttliche Gnade,
gut zu beginnen.
Es ist eine größere Gnade
auf dem Weg zu bleiben
und den Rhythmus nicht zu verlieren.
Aber die Gnade aller Gnaden ist es
sich nicht zu beugen und,
ob zerbrochen und erschöpft,
vorwärts zu gehen bis zum Ziel.“

Anfang und Ende stehen nicht in unserer Macht, sie sind Gnadengeschenk dessen, der allein Anfang und Ende, Alpha und Omega ist und der in uns vollendet, was er selbst begonnen hat. In diesem Sinne wollen wir uns gemeinsam auf den Weg machen und zu Menschen werden, die täglich neu anfangen.

Sr. Philippa Rath OSB

Ort des Lebens – Ort des Segens 

10 Gebote der Gelassenheit – Werkzeuge der geistlichen Kunst
ein Weg durch unseren Alltag
eine Einladung zum Verweilen im Eilen

„Nimm dir nicht zu viel vor. Es genügt die friedliche, ruhige Suche nach dem Guten: an jedem Tag, zu jeder Stunde, ohne Übertreibung, mit Geduld.“ ( hl. Papst Johannes XXIII.)


Leben

„Nur für heute werde ich mich bemühen, einfach den Tag zu erleben, ohne alle Probleme meines Lebens auf einmal lösen zu wollen.“

02

Herr,
schenke mir Augen, die weiter sehen
schenke mir Ohren, die tiefer lauschen
schenke mir Gedanken, die unaufhörlich nach dir fragen
schenke mir Menschen, die dich mit mir suchen
und wenn wir dich gefunden haben,
dann blüht unser Mauerwerk auf
im Atemwind deines Geistes
wachsen Trost und Segen,
weil du überall auf uns schaust

 

Werkzeug
Fest überzeugt sein, dass Gott überall auf uns schaut. RB 4,49

apertis oculis nostris

ad deificum lumen
adtonitis auribus audiamus
divina cottidie clamans
HODIE

 

Sorgfalt 

„Nur für heute werde ich mit größter Sorgfalt auf mein Auftreten achten. Ich werde niemanden kritisieren, ja ich werde nicht danach streben, die anderen zu korrigieren oder zu verbessern. Nur mich selbst“

03

sed magis benedicere 

Herr Keuner ging in ein Lebensmittelgeschäft, das sich gleich um die Ecke seines Hauses befand. „Gott zum Gruße“, sagte er beim Eintritt, doch man schenkte ihm nur ein müdes Lächeln. Er habe die Perle im Acker gefunden und wolle ein kleines Fest geben, ob die Herrschaften nicht kommen wollen, fragte er, jeder sei willkommen. Doch man

runzelte nur die Stirn und tat zugleich so, als habe man seine Worte nicht gehört. Mönch zu werden, ja, darüber habe er schon häufiger nachgedacht, mehr theoretisch als praktisch, aber plötzlich habe es ihn dann ergriffen und es lasse ihn nicht mehr los; nein, besser: ER lasse ihn nicht mehr los. Ob jemand der Anwesenden auch so eine beglückende Erfahrung gemacht habe, wollte er wissen, doch man schrie ihn an, er möge endlich still sein. Totenstille trat ein – und Herr Keuner trat aus, um schließlich woanders schweigend einzutreten. Die Perle aber, die ließ er im Acker.

Werkzeug
Von der Liebe nicht lassen. Die uns verfluchen, nicht auch verfluchen, sondern – mehr noch – sie segnen. RB 4,26.32

einmalig
unersetzbar
ähnlich und doch verschieden
zum Verbinden und Ergänzen geschaffen
Geduld ist gefragt und Ausdauer
Sorgfalt
mit dir und mit mir
Puzzleteile im Acker unseres Lebens


 Glück 

„Nur für heute werde ich in der Gewissheit glücklich sein, dass ich geschaffen bin, glücklich zu sein, nicht nur für die andere, sondern auch schon für diese Welt.“

04

jubelnde Seele
streck deine Hände aus
grab nach der Quelle
hier ist der Garten
Ölberg und Eden
auch deines Lebens Rosen
wollen hier blühen
Dornwald und Wüste
Manna und Tränen
der Mächtige tut Grosses an uns
heute
hier
auch jetzt
und in der Stunde unseres Todes
stell dich in den Segen
lobpreise den Herrn

Werkzeug
Das ewige Leben mit allem geistlichen Verlangen ersehnen.
Den unberechenbaren Tod täglich vor Augen haben. RB 4,46f.

Realismus 

„Nur für heute werde ich mich an die Umstände anpassen, ohne zu verlangen, dass sich die Umstände an meine Wünsche anpassen.“

05

UM-WÖRTER 

In unserem Alltag benutzen wir viele
Wörter, die mit „um“ beginnen.
Manche dieser „Um-Wörter“ wollen eine
Veränderungen andeuten: Um-zug, Um-schwung, Um-wandlung.

Andere „Um-wörter“ verweisen auf
neue Wegstrecken (Um-wege) und längere Prozesse, die mitunter schmerzhaft verlaufen können: um-gehen, um-biegen, um-erziehen, um-pflanzen, um-leiten.

Aber es gibt auch „Um-wörter“, die selbst in scheinbar un-um-stößlichen Situationen neue Perspektiven eröffnen: Um-verteilung, Um-widmung.

Um-orientierung gelingt freilich nur, wenn aus der neuen Um-schreibung nicht sofort wieder ein neuer Um-stand wird, den man lieber gleich um-schiffen würde.

Ist in unserem Leben denn wirklich alles so vergebens und um-sonst?

Nein!

UM-KEHR – conversatio – ist nicht umsonst, aber dafür „gratis“ – eben voll der Gnade.

Jeden Tag neu!

Werkzeug
Nicht murren. RB 4,39

 Lesen 

„Nur für heute werde ich zehn Minuten meiner Zeit einer guten Lektüre widmen. Wie die Nahrung für das Leben des Leibes notwendig ist, ist die gute Lektüre notwendig für das Leben der Seele.“

06

 

Wie treffend, dass es von diesem „Gebot“ gleich zwei Varianten gibt: Lesen und Stille.

Beides liegt auch in unserem Kloster nah beieinander: Bibliothek und Oratorium.

Lectio und Oratio.

In das kleine Heftchen dürfen Empfehlungen geschrieben werden: Leseempfehlungen für das Leben der Seele.

Manchmal liest sie sich spannender als das Buch, das man sich gerade ausleihen möchte: die Leihkarte mit den Namen derer, die schon vor einem dieses Buch gelesen haben.

Leseempfehlungen der stillen Art.

Welcher Reichtum liegt hier verborgen.

Werkzeug
Heilige Lesungen gern hören. RB 4,55

Stille 

„Nur für heute werde ich zehn Minuten meiner Zeit der Stille widmen und Gott zuhören. Wie die Nahrung für das Leben des Leibes notwendig ist, so ist das Horchen auf Gott in der Stille notwendig für das Leben der Seele.“

07

Werkzeug
Sich oft zum Beten niederwerfen. RB 4,56

Vorübergang des Herrn
tritt einfach ein
bete
und lass die Welt
vorübergehen

simpliciter intret et oret 


Handeln

„Nur für heute werde ich eine gute Tat vollbringen – und ich werde es niemandem erzählen.“

08

keine Schatten
sondern Licht wirfst du in unser Leben
malst bunte Farbe auf grauen Stein
verwandelst finstere Ecken
in helles Leuchten
zart
verspielt
für Achtsame
nur einen Augenblick
wie leises Säuseln
o Schöpfer der Welt
wie staunenswert
ist dein Blick
für uns
ist dein Atem
in uns
ist dein Antlitz
unter uns
Licht ist gesät
schon keimt es
seht ihr es nicht?
nur einen Augenblick
und das Angesicht der Erde
wird neu

Werkzeug
Arme bewirten.
Nackte bekleiden.
Kranke besuchen.
Tote begraben
Bedrängten zu Hilfe kommen.
Trauernde trösten. RB 4,14-19

Überwinden

„Nur für heute werde ich etwas tun, wozu ich keine Lust habe. Sollte ich mich in meinen Gedanken beleidigt fühlen, werde ich dafür sorgen, dass niemand es merkt.“

09

Mittagshore 

erhitzte Gemüter
neigen das Haupt

die Stirn trägt Wunden
dein Wort lässt heilen
was Worte verletzten

zur Ruhe kommen
die Stille finden

Mitten am Tag
notwendig
Not wendend
heilend

die Stille gefunden
zur Ruhe gekommen

vergebende Worte
dein Wort, das vergibt
alle Schuld dieser Welt

als du dein Haupt neigtest
über erhitzte Gemüter

zur Mittagszeit

Werkzeug
Nicht stolz sein,
nicht trunksüchtig,
nicht gefräßig,
nicht schlafsüchtig,
nicht faul sein. RB 4,34-38

contentus sit monachus


Planen

„Nur für heute werde ich mir ein genaues Programm vornehmen. Auch wenn ich mich nicht genau daran halten werde – ich werde den Tag planen. Ich werde mich besonders vor zwei Übeln hüten: vor der Hetze und vor der Unentschlossenheit.“

10

Danke,

Herr, dass du unser Wollen in ein anderes Licht stellst
und voller Sanftmut
einen zarten Strich
durch unsre Pläne machst.

11

 

 

in aller Gelassenheit und im Gehorsam

cum omni mansuetudine et oboedientia

 

 

Werkzeug
Gottes Weisungen täglich durch die Tat erfüllen. RB 4,63

 


Mut

„Nur für heute werde ich keine Angst haben. Ganz besonders werde ich keine Angst haben, und mich an allem freuen, was schön ist. Und ich werde an die Güte glauben.“

12

Werkzeug
Vor allem: Gott den Herrn, lieben
mit ganzem Herzen,
mit ganzer Seele
und mit ganzer Kraft.
Ebenso: Den Nächsten lieben wie sich selbst. RB 4,1f.

wie klopfte mir damals das Herz
bei den ersten Schritten
Einsamkeit und Gemeinschaft

„lass dich nicht sofort von Angst verwirren
fliehe nicht vom Weg des Heils
er kann am Anfang nicht anders sein als eng
folge mir nach“

Heimsuchung Gottes
Zeitenwende in seinem Zelt
Hände in Hände gelegt

welch unsagbares Glück:
hier brennt der Dornbusch

und das Herz schlägt mir noch heute


Vertrauen

„Nur für heute werde ich fest daran glauben – selbst wenn die Umstände das Gegenteil zeigen sollten – , dass die gütige Vorsehung Gottes sich um mich kümmert, als gäbe es sonst niemanden auf der Welt.“

13

 

GEMEINSCHAFT ausbuchstabiert (mit RB 72) 

G ott fürchten

e inander selbstlos

m it glühender Liebe

E igenwillen aufgeben

i m gegenseitigen Gehorsam

n ichts vorziehen

s o gibt es den guten Eifer

c harakterliche Schwächen mit unerschöpflicher Geduld ertragen

H ilfe des Herrn erbitten

a uf die Weisung des Meisters hören

F ührung des Evangeliums

t äglich durch die Tat erfüllen

ecce quam bonum
Wurzel und Stamm
Grundstock für Generationen
im Vertrauen auf Gott
wachsen neue Triebe
getragen und gestützt
habitare in unum

Werkzeug
Seine Hoffnung Gott anvertrauen. RB 4,41

 

Von Sr. Raphaela Brüggenthies OSB

 

Das 53. Kapitel der Regel des hl. Benedikt ist ganz der Aufnahme der Gäste gewidmet. Die Gastfreundschaft wurde so von Anfang an zu den tragenden Grundpfeilern benediktinischen Lebens.

Um sich dem Thema Gastfreundschaft zu nähern, sollen zunächst die kulturellen und biblischen Grundlagen der Gastfreundschaft kurz in den Blick genommen werden. Xenos = Gast bedeutete ursprünglich im Griechischen der Fremdling, der Unbekannte, der Ausländer, der zunächst einmal Angst und Abwehr auslöste. Er war zunächst also der Feind, der in den eigenen Lebensraum eindringt und der als bedrohlich erfahren wird, weil er anders ist. Auch im Lateinischen bedeutete hostissowohl Feind als auch Fremder. Wenn wir also von Gastfreundschaft in der Antike wie auch in der Bibel sprechen, so darf dies keineswegs als etwas Naturgegebenes verstanden werden. Gastfreundschaft ist eine Kulturleistung ersten Ranges und gehört von alters her zu den prägenden Elementen der Gesellschaft. Neben den vielen Möglichkeiten der zwischen-menschlichen Beziehungen und Hilfe galt sie auch als Form religiöser und sozialer Verantwortung. Sie war keineswegs nur Zeichen liebenswürdigen oder großzügigen Umgangs miteinander, sondern war im wahrsten Sinne lebens-notwendig in einer Welt, in der die gewerbsmäßige Unterbringung von Fremden und Reisenden noch unbekannt war. Jeder, der die Grenzen seiner engeren Heimat, seines Vaterhauses oder seiner Vaterstadt verließ, musste und durfte sie in Anspruch nehmen. Sie war nicht nur gastliche Aufnahme und Bewirtung, sondern umfasste den absoluten Schutz für Leib und Leben. Insofern barg sie in sich immer schon einen existentiellen Kern. Von daher gesehen lag auch eine religiöse Deutung der Gastfreundschaft sehr nahe. Weiterlesen

Nichts ist für benediktinisches Leben so kennzeichnend wie das „Opus Dei“ (Werk Gottes). Wir denken dabei vor allem an den liturgischen Gottesdienst, das Stundengebet. Das „Opus Dei“ ist sowohl Werk Gottes selber als auch Werk für Gott. Benedikt übernimmt den Ausdruck aus der Tradition vor ihm; dort bezeichnete er das christliche oder Mönchsleben als solches, das sich dann im Gebet verdichtet. Benedikt ordnet mit äußerster Sorgfalt das gemeinsame Gebet der Mönche (vgl. Benediktusregel 8-20; 45; 47; 50; 52). Vergeblich sucht man in seiner Regel eine theologische Grundlegung des Gebetes, dafür aber werden Ablauf und Aufbau der einzelnen Gebetszeiten und die für ihren würdigen Vollzug erforderlichen Haltungen ausführlich geschildert.  Weiterlesen

Gott, du mein Gott, dich suche ich;
es dürstet nach dir meine Seele.
Nach dir verlangt mein Leib
Gleich einem dürren, lechzenden Land
ohne Wasser.
So schaue ich aus nach dir im heiligen Zelt,
deine Kraft und deine Herrlichkeit
möchte ich schauen.
Denn besser ist deine Huld als das Leben,
meine Lippen singen dir Lob.
Ich will dich rühmen mein Leben lang,
in deinem Namen erhebe ich meine Hände.
(aus Psalm 63)

Wenn der hl. Benedikt als erstes Prüfungs-Kriterium für den neubeginnenden Novizen nennt, „ob er Eifer hat für das Opus Dei“ (Benediktusregel Kap. 58, 7), dann zeigt sich darin, dass er eben dieses Opus Dei als den vornehmsten Ausdruck der Gottsuche und ein jeder Berufung betrachtet. Das gilt keineswegs nur für den Anfänger. Für jeden, auch für die, die das Leben der Nachfolge im Geist des hl. Benedikt schon lange leben, bleibt die Frage, ob er wahrhaft Gott sucht, ein Leben lang gültig und entscheidend. In diesem Sinne bleiben wir Anfänger ein Leben lang. Weiterlesen

Lauschender

Er wartet auf Botschaft, schon lange.
Jemand hat ihm gesagt:
Sei wachsam, lausche,
halte dich still
und die Hand ans Ohr.
Irgendwo wird das Wort ausgesprochen.
Irgendwo schlägt die Glocke an.
Irgendwann wird sich der Ton ausfiltern lassen aus dem Geräusch des Windes.
Auf diesen Ton bist du gestimmt,
so lausche.

(Gertrud Fussenegger)

 

Das zweite Kriterium, das der hl. Benedikt nennt, um zu beurteilen, ob einer wirklich Gott sucht, ist der Eifer für den Gehorsam (Benediktusregel Kap. 58, 7). An nicht weniger als 35 Stellen kommen die Begriffe „gehorchen“ und „Gehorsam“ in der Benediktusregel vor. Dies weist darauf hin, dass wir es hier mit einem Grundbegriff, besser gesagt mit einer Grundhaltung im benediktinischen Leben zu tun haben. Dem Gehorsam ist in späterer Zeit sogar ein eigenes Gelübde gewidmet worden – dem alten Mönchtum war ein Gehorsamsgelübde noch unbekannt. Weiterlesen

Dieses Ich, das Wahrste meines Ichs, das Ich vor mir und das Ich über mir: Unruhe. Als Gott über meinen Erdenstand blies,um in ihn meine Seele einzupflanzen, muss er wohl zu heftig geblasen haben. Ich habe mich nie erholt von diesem Anhauch Gottes. Ich habe nie aufgehört, wie eine Kerze zu zittern,wie eine flackernde Kerze zwischen zwei Welten. Und doch …

(Marie Noël)

Das dritte O des 58. Kapitels der Benediktusregel fragt den Mönch, ob er Eifer hat für die „obprobria“. Der neue Regel-Text übersetzt das Wort mit „Widerwärtigkeiten“, während in alten Übersetzungen von „Verdemütigungen“ die Rede war. Wie immer man dieses in jedem Fall unbequeme Wort übersetzen mag, es geht um die Erfahrung, dass es in einem konsequent gelebten christlichen Leben manchmal hart und rauh zugehen kann. Der hl. Benedikt betont eigens: „Im voraus sage man ihm [dem Neuankommenden), wie rauh und schwierig der Weg ist, der zu Gott führt“(Benediktusregel Kap. 58,8). Diese Erfahrung trifft jeden von uns. Es kann sein, dass uns über lange Strecken unseres Lebensweges Gegen-wind ins Gesicht bläst. Wir geraten in die Feuerprobe, wie es in Psalm 66 heißt: „Gott, du hast uns geprüft und uns im Feuer geläutert, wie man Silber im Feuer läutert“. Solche Zeiten der Krise, in denen wir bisweilen an der Richtigkeit und Sinnhaftigkeit unserer Lebensentscheidungen zweifeln, sind oft nur schwer zu bestehen. Weiterlesen

„Dies ist der Tag, den Gott gemacht hat. Darüber wollen wir uns freuen und jubeln!“ Dieses Wort aus Psalm 118 singen wir hier im Benediktinerinnenkloster St. Hildegard in Rüdesheim/Eibingen jeden Sonntag in der Frühe. Sie alle sind täglich in dieses Gotteslob eingeschlossen, denn das, so glauben wir, ist unsere Aufgabe: stellvertretend für die ganze Welt vor Gott zu stehen, ihn zu loben, ihm zu danken und für alle Menschen Gottes Segen und Heil zu erbitten.

Vielleicht haben Sie sich schon einmal gefragt: Was suchen eigentlich Menschen in einem Kloster? Warum gehen auch heute noch junge Menschen ins Kloster? Was bewegt sie, wie vor ungefähr 1400 Jahren Benedikt von Nursia, ein so ganz anderes Leben zu wählen? Aber was ist da anders? Denn auch Klosterleute sind doch nur Menschen. Bei uns zum Beispiel leben ganz normale, alltägliche Menschen miteinander. Ist es nicht bei Vielen gängige Meinung, daß nur nostalgische Sehnsucht die einen heute in Sekten oder esoterische Zirkel, die anderen eben in ein Kloster treibt? Weiterlesen

Wie alle Benediktinerinnen leben auch die Schwestern der Abtei St. Hildegard nach jener Ordensregel, die über 1400 Jahre alt ist und auf den hl. Benedikt zurückgeht. Diese Regel ist der Niederschlag einer langen Mönchstradition, zugleich aber auch einer sehr persönlichen geistlichen Erfahrung. Geprägt von Gottesliebe und Menschlichkeit, von österlicher Glaubensfreude und einem nüchternen Wissen um den Menschen, ist sie in ihren wesentlichen Aussagen auch heute noch unverändert gültig und aktuell.

Die Mönche sollen Gott in Liebe fürchten und nichts höher stellen als Christus. (Benediktusregel, Kap.72)

Sinn und Ziel eines monastischen, d.h. kontemplativen und klösterlichen Lebens ist nicht der Erfolg; weder Konsum noch Leistung, noch caritative Zwecke werden angestrebt. Monastisches Leben ist der Versuch, in Gottes Gegenwart zu leben, jeden Tag neu. Deshalb erhält ein solches Leben seine Prägung durch den Lobpreis Gottes, durch das Gebet. Es geht darum, jeden einzelnen Tag vor Gott zu bringen und zu heiligen – bewußt abseits der rasch wechselnden geistigen und gesellschaftlichen Modetrends; und dies in der Freude und Freiheit der Kinder Gottes. Weiterlesen