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21. März Hochfest des Hl Benedikt
Die Vita des heiligen Benedikt

Im allgemeinen wird die Vita des heiligen Benedikt von vielen immer noch eher ein wenig belächelt und als erbauliche, legendenumrangte Literatur verlegen bei Seite gelegt. Die Benediktusregel allein sei es, so hört man oft, die das benediktinische Leben begleitet, ihm Fundament und Form gibt und die dem Leser, so Gott will, irgendwann auch zum Buch seines eigenen Lebens wird. Die Lebensbeschreibung des hl. Benedikt aus der Feder Papst Gregors des Großen dagegen führt eher ein Schattendasein – und das zu Unrecht, denn sie ein Buch voller Kraft und voller Weisheit. Sie enthält ähnlich wie die Regel des hl. Benedikt, aber in literarisch ganz anderer Form, gelebte Wahrheit und schildert uns das Leben des hl. Benedikt als ein exemplarisches spirituelles Leben. Die Geschichten, die die Vita erzählt, sind wie Ikonen, die das Antlitz des Ordensvaters und im Tiefsten auch das Antlitz Christi und des Vatergottes aufstrahlen lassen. Deshalb kann die meditierende Lektüre der Vita Benedicti zu einem vertieften Verständnis des Glaubens und des benediktinischen Lebens führen. Der Anlass zur Abfassung der Dialoge

Das zweite Buch der Dialoge Gregors des Großen

Wie kaum ein anderes Werk hat das zweite Buch der Dialoge („Dialogorum Libri quattuor de miraculis Patrum Italicorum“) Papst Gregors des Großen (540 – 604), das die Lebensbeschreibung des hl. Benedikt enthält, die Spiritualität des benediktinischen Mönchtums durch die Jahrhunderte geprägt. Dieses Buch gehörte zu den weitest verbreiteten und meist übersetzten Büchern in den Klöstern unseres Ordens und darf deshalb in seiner Bedeutung für die Tradition, aber auch für uns heute, nicht unterschätzt werden. Die Vita Benedicti ist bis heute die einzige Quelle über Leben und Wirken unseres Mönchsvaters. Es gibt keine zeitgenössischen Zeugnisse über das Leben Benedikts.

Das benediktinische Mönchtum hat seine Formung vor allem durch die Benediktusregel gefunden. Die Person des hl. Benedikt trat und tritt immer hinter seinem Werk, d.h. hinter seiner Regel, zurück. Doch schon Papst Gregor wusste zu berichten: “Wer sein [Benedikts] Wesen und sein Leben genauer kennen lernen will, kann in den Weisungen seiner Regel alles finden, was er als Meister vorgelebt hat: denn der heilige Mann konnte gar nicht anders lehren, als er lebte.“ (Vita 36). In diesen letzten Worten leuchtet für mich das auf, was das eigentliche Geheimnis dieser Vita Benedicti und damit auch des hl. Benedikt selbst ausmacht: Leben und Lehre sind zu einer untrennbaren Einheit geworden. Von uns, den Nachfolgenden, wird nicht mehr und nichts anderes erwartet, als unser Vater Benedikt selbst vorgelebt hat. „Der Abt“, so heißt es im 2. Kapitel der Regula (2, 12), „zeige mehr durch sein Beispiel als durch Worte, was gut und heilig ist“. Und wer von uns wüsste nicht, dass das gelebte Beispiel weit mehr überzeugt als jedes noch so gut gemeinte Wort.

Gregor der Große verfasste die Vita Benedicti in den Jahren 593 und 594, also fast 50 Jahre nach dem Tod des hl. Benedikt (ca. 548). Äußerer Anlass war die Bitte zahlreicher Kleriker und Mönche, Beispiele heiligmäßigen Lebens in Italien niederzuschreiben, um die Menschen zu erbauen und im Glauben zu stärken. Im Vordergrund stand also zunächst ein durchaus pastorales und auch spirituelles Anliegen. Betrachtet man allerdings das Vorwort Gregors zu seinen „Vier Büchern der Dialoge“, so wird deutlich, dass auch ein sehr persönliches Interesse hinter diesem Buch stand. Gregor, ursprünglich selbst Mönch im Andreaskloster in Rom, war bereits nach wenigen Klosterjahren Abgesandter des Papstes in Konstantinopel geworden und wurde dann 590 selbst zum Papst gewählt. Die Bürde des Amtes lastete schwer auf ihm – die Verflochtenheit in weltliche Aufgaben ließ ihn in wachsendem Maße hin- und hergerissen sein zwischen den Pflichten seines Papstamtes und der Sehnsucht nach einem kontemplativen, geistlichen Leben im Kloster.

Als Heilmittel gegen seine eigene innere Unruhe setzt Gregor nun die Erinnerung an Beispiele gelungenen, integrierten, ganzen und heilen Lebens. In der Gestalt des hl. Benedikt findet er ein solches Beispiel. In der Erinnerung an ihn gelingt es ihm, die kontemplative Dimension in seinem eigenen Leben zu bewahren und einen neuen Anfang zu setzen. Insofern hat die Niederschrift der Lebensbeschreibung des hl. Benedikt für Papst Gregor neben der pastoralen auch eine „therapeutische“ Funktion. In den Lebensgeschichten der Väter erfährt er Ansporn, Trost und Stärkung und findet das, was er sich tief in seinem Herzen für sein eigenes Leben wünscht: „Viele von ihnen lebten im Verborgenen in Einklang mit dem Schöpfer“ (Prolog der Vita). Papst Gregor versteht seinen Bericht über das Leben Benedikts also nicht erstlich als Geschichtsschreibung, sondern als Schilderung eines exemplarischen spirituellen Lebens. Am Leben des hl. Benedikt will er darlegen, wie der christliche Weg der Verwandlung in das Bild Jesu Christi gelingen kann und welche Stufen auf dem Weg wachsender Gotteserfahrung zu durchschreiten sind.

Das bedeutet allerdings nicht, dass die Vita Benedicti nicht einen wahren und zuverlässigen historischen Kern hat. Papst Gregor lagen Erzählungen und Erzähltraditionen, wie z.B. die vom stehenden Sterben des hl. Benedikt, vor. Solche Erzählfragmente verknüpfte er dann auf vielfältige Weise mit unterschiedlichen Topoi (d.h. Erzähl- und Denkfiguren) aus der altkirchlichen Hagiographie. Dabei spielen die beiden großen Modellviten des alten Mönchtums – die Vita Antonii des Athanasius und die Vita Martini des Sulpicius Severus – eine ganz besondere Rolle. Auf diese Weise entstand ein Bild des Menschen Benedikt, der glaubwürdig und konsequent als Christ und als Mönch lebte. In zweiter Linie dann folgte die Intention einer Darstellung des monastischen Ideals, des Bildes eines vollkommenen Abtes und des vollkommenen Jüngers des Herrn. Wichtig ist dabei der untrennbare Zusammenhang mit der Hl. Schrift und der absolute Vorrang des Wortes Gottes. „Wenn die Mönchsregeln nichts anderes sein wollen als die Einschlagstelle der Hl. Schrift im konkreten Leben der Gemeinschaft, dann zeigen die Mönchsviten diese Einschlagstelle der Hl. Schrift im konkreten Leben eines einzelnen.“ (Einleitung zur Vita, hrsg. von der Salzburger Äbtekonferenz, S.34)

Die literarische Gestalt und Form der Vita Benedicti

Ein Blick auf die literarische Gestalt der Vita zeigt, dass das Leben des hl. Benedikt in einer Art fiktivem Wechselgespräch zwischen dem Verfasser Gregor und seinem Diakon Petrus dargestellt. Näherhin ist diese Form des Dialogs eigentlich die aus den Väterunterweisungen der Wüste bekannte Form der Fragen und Antworten. Der Diakon Petrus gibt sozusagen die Stichworte, damit die Erzählung weitergeht, oder stellt eine Frage, die es dem Erzähler ermöglicht, die Handlung fortzuschreiben oder auch einen kleinen homiletischen Exkurs über ein konkretes Thema einzuschieben (insgesamt 10 solcher Einschübe z.B. 35,5-7 gibt es)

Vir Dei Benedictus

Betrachten wir zunächst die Bezeichnung Benedikts als „Vir Dei Benedictus“. Schon diese Namensgebung weist auf die besondere Stellung des gesegneten Gottesmannes hin. Bedeutende Gestalten der Patriarchen- und Prophetenzeit führten als Ehrenbezeichnung den Titel „Mann Gottes“: Moses (Dt 33,1), Samuel (1 Sam 9,6), David (2 Chr 8,14), Elja und Elischa (1 Kön 17,18 und 3 Kön 19,16). Was zeichnet einen Vir Dei, einen Mann Gottes aus? Er ist zunächst und vor allem Zeuge für Gottes Heilshandeln in der Geschichte und an uns Menschen. Er lebt selbst ganz aus und in Gott, und versucht, allein Gottes Willen zu verwirklichen. Sodann ist er Prophet, d.h. gesandt, das Heil Gottes in eine bestimmte Situation hinein zu verkünden. Und schließlich steht der Vir Dei in der Nachfolge der Apostel, weniger um missionarisch tätig zu sein – dies kann eher eine indirekte Frucht sein – als vielmehr in dem Anspruch, die gleiche Vollkommenheit zu erreichen, wie diejenigen, die ganz in der Nähe des Herrn lebten.

Schließlich der Name „Benedictus“ in seiner doppelten Bedeutung: der von Gott Gesegnete, der selbst ein Segen für viele wird. Hier ist der Anklang an Abraham deutlich und sicher auch bewusst gewählt: „Du sollst ein Segen sein…“ . Schon für den Verfasser der Vita war der hl. Benedikt ein Gesegneter im wahrsten Sinne des Wortes. Und ich denke, er ist es geblieben – durch inzwischen fast 1500 Jahre hindurch und auch für uns.

Grundthemen der Vita Benedicti

Wie oben schon gesagt, berichtet Papst Gregor im 36. Kapitel der Vita von der Niederschrift einer „Regel für Mönche“ und von dem untrennbaren Zusammenhang dieser Regel mit dem Leben des hl. Benedikt. Folgerichtig greift die Vita an vielen Stellen in der Form von Geschichten und Episoden aus dem Leben des Heiligen immer wieder die Grundthemen der Regel auf: den Vorrang des Gebetes als dem Zentrum des monastischen Lebens (Dialoge II 4,1-3 – RB 43,8-9), die Beständigkeit (Dialoge II, 25 – RB 4,78; 58,9; 61,5), der Gehorsam (Dialoge II, 7,1-3 – RB 5,1), der Eigenbesitz (Dialoge 19,2 – RB 33,1) und schließlich auch das weite Herz (Dialoge II 35,7 – RB, Prol 49).

Die Wunder

Entscheidender Bestandteil altkirchlicher Vitenliteratur sind die Wunderberichte – so auch in der Vita Benedicti. Gerade diese Wundergeschichten haben viele an der Seriösität der Vita zweifeln lassen. Doch gilt auch hier: wir müssen tiefer sehen und den Kern dieser Wunderberichte verstehen lernen. Die Wunder, so fasst Gregor selbst den Sinn dieser Berichte zusammen, sind das „bonae vitae testimonium“ (Dialoge I,12,6) das Zeugnis eines gottgefälligen Lebens. Sie stellen die Heiligen in eine Reihe mit den Aposteln und Propheten. Viele der geschilderten Wunder Benedikts sind übrigens Früchte einer Art monastischen Pädagogik und insofern Anschauungsmaterial für unser tägliches klösterliches Leben (Dialoge II, 9: Der Stein in der Mitte; Dialoge II,10: Das Scheinfeuer in der Küche). Meist ist es das Gebet des hl. Mönchsvaters, das das Wunder bewirkt – und dies kann uns helfen, an die heilende und verwandelnde Kraft des Gebetes zu glauben.

Gefährdungen und Versuchungen

Ein Grundthema der Nachfolge sind die Gefährdungen und Versuchungen, ist der Kampf mit dem alten Feind, wie es die Mönchsväter nennen. Kein Leben in der Nachfolge kann ohne Anfechtungen bleiben, das weiß jeder von uns aus eigener Erfahrung. Evagrius Pontikus und in seiner Tradition Johannes Cassian sprachen von den logismoi, den Gedanken, die vom Weg und vom Eigentlichen abbringen und die es immer neu zu bekämpfen gilt. Diese konkretisieren sich in der Vita in verschiedenen Begegnungen des hl. Benedikt mit dem alten Feind und finden ihren Höhepunkt schließlich in dem Wort: „Der Ort änderte sich, nicht aber der Feind“ (Dialoge II, 8,10). In heutige Sprache übersetzt würden wir sagen: so oft wir den Ort auch wechseln, wir nehmen uns immer mit …

Begleiter auf dem Weg

Ein wichtiges Thema der Vita Benedicti sind auch die begleitenden Gestalten auf dem Weg. Der hl. Mönchsvater war keine einsame Gestalt, sondern traf und fand von Anfang an Menschen, die ihn auf seinem Weg begleiteten: den Mönch Romanus, der ihm das Gewand des klösterlichen Lebens gab und ihn in der Höhle mit Brot speiste (Dialoge II, 1,4); der Osterbote, der mit seinem Besuch in der Höhle eine Wende in das eremitische Leben Benedikts bringt und ihn auf die kirchliche und gemeindliche Dimension des mönchischen Lebens hinweist (Dialoge II, 1,7); der Mönch Theoprobus, mit dem Benedikt seine prophetische Schau der Zerstörung Montecassinos teilt und vor dem der Heilige nicht einmal seine Tränen verbirgt (Dialoge II, 17); seine Schwester Scholastica, von der uns Gregor berichtet, dass sie mehr vermochte, weil sie mehr liebte (Dialoge II, 33,5); schließlich der Diakon Servandus, mit dem Benedikt auf dem Höhepunkt seines geistlichen Lebens seine große kosmische Vision und die überwältigende Erfahrung des göttlichen Lichtes teilt (Dialoge II, 35,4). Alle diese Wegbegleiter stehen als Symbol für die Wirklichkeit brüderlich-schwesterlicher Gemeinschaft und können Mut machen, unseren je persönlichen Weg nicht alleine zu gehen, sondern im vertrauensvollen Austausch mit anderen an unserer Seite.

Geistliches Leben als Weg

Als letztes, aber keineswegs als letztrangiges Grundmotiv der Vita des hl. Benedikt ist der Weg zu nennen. Geistliches Leben, Leben überhaupt ist ein Weg, den wir gehen und den wir geführt werden. Dem Weg Benedikts geht ein Neuanfang voraus, nämlich seine Bekehrung zum Mönchtum. In diesem Sinne kann der hl. Benedikt ein guter Wegbegleiter sein, denn er war ganz ein Mann des Anfangs.

Benedikt verlässt seine Heimatstadt Rom und er verlässt seine Familie. Er verlässt sein Vaterhaus und seinen Besitz. Er verlässt die Welt und kurz darauf auch seine geliebte Amme. Er findet Aufnahme in einer Gemeinschaft von Männern, die ein asketisches Leben führen, und verlässt die Gemeinschaft von Effide schon bald, um neu zu beginnen in radikaler Einsamkeit. Seine Wüste wird nun „eine ganz enge Höhle“ (Dialoge II 1,4) und er beginnt den Weg zurück zu sich selbst – „reditus in semetipsum“, wie die Väter diesen ersten Schritt auf dem Weg der Gotteserfahrung nennen. Auch später, nach dem Scheitern in Vicovaro wird Benedikt noch einmal an „die Stätte der geliebten Einsamkeit zurück-kehren“ (Dialoge II, 3,5) um dort ganz in der Gegenwart Gottes, was Papst Gregor mit dem berühmten Wort vom „habitare secum“ (Dialoge II, 3,5) beschreibt, zu leben.

In einem weiteren Schritt verlässt Benedikt die Höhle und begibt sich „auf die Erde“ in Subiaco. Er fängt neu an, sammelt die ersten Schüler um sich und gründet 12 Klöster. Die Grundzüge zönobitischen, d.h. gemeinschaftlichen Lebens bilden sich heraus. Der Neid eines feindlichen Priesters veranlasst Benedikt schließlich noch einmal zu einem Ortswechsel und Neuanfang. Der Montecassino symbolisiert nun die letzte Station seines Lebens und wird zum Ort seiner geistlichen Vollendung. Wie sehr der Berg der eigentliche Ort der Gottesbegegnung ist, sagt uns die Hl. Schrift an vielen Stellen, angefangen vom Berg Horeb über den Berg Tabor bis hin zum Ölberg. Auf dem Montecassino wird der hl. Benedikt zum eigentlichen Vir Dei, zum guten Hirten und zum geistlichen Vater seiner Mönche. Hier beginnt er mit der Niederschrift seiner Regel und hier vollendet sich auch sein Leben.

Noch einmal führt Papst Gregor den hl. Benedikt weiter hinauf – an die höchste Stelle, auf den Turm, den nichts mehr zu überragen vermag. In einer nächtlichen Vision erfährt er nun den eigentlichen geistlichen Höhepunkt seines Lebens. Er ist zur Vollendung gelangt und darf bereits das jenseitige Licht der Transzendenz schauen. Ähnlich wie Augustinus einst mit seiner Mutter Monika kurz vor deren Tod am Fenster in Ostia stand (Confessiones IX, 23), so erlebt Benedikt hier bereits seinen Hinübergang in das ewige Licht. Es ist seine Ostererfahrung schlechthin, die ihre liturgische Parallele im Exsultet der Osternacht findet, die mit nahezu denselben Worten das Licht der Auferstehung inmitten der Nacht preist. In diesem Licht darf Benedikt wie einst Moses auf dem Berg Nebo (Deut 34,1-5) das gelobte Land in seiner Ganzheit und in seiner vollen Schönheit schauen. Benedikts Tod ist dann nur noch ein Hinübergang, ein transitus im eigentlichen Sinne. Ein letztes Mal nimmt Papst Gregor hier an dieser Stelle das Wegmotiv des geistlichen Aufstiegs in den Blick. Auf unnachahmliche Weise verwendet er eine Terminologie, die an die Himmelfahrtsperikope erinnert: „Haec est via, qua dilectus Domino caelum Benedictus ascendit“ – Dies ist der Weg, auf dem Benedikt, den der Herr liebt, zum Himmel emporstieg“ (Dialoge 37, 3).

Sr. Philippa Rath OSB