Betrachtung zum Kreuzweg

Mit Abbildungen der Bronzereliefs von Max Faller

Im Kreuzgang unserer Abtei hängt ein von dem bekannten Würzburger Künstler Max Faller gestalteter Kreuzweg. Die vierzehn Kreuzwegstationen sind als Bronzereliefs gestaltet. Besonders am späten Nachmittag, wenn das Licht und die Sonne diesen Teil des Kreuzgangs erleuchten, spürt der Betrachter, wie ausdrucksstark die einzelnen Stationen gearbeitet sind. Die nachfolgende Meditation unserer Sr. Christiane Rath möchte dazu einladen, den Spuren Jesu zu folgen und diese im eigenen Leben wiederzuentdecken.

Einführung
Lies nicht mehr – schau. Schau nicht mehr – geh!
Ein Kreuzweg will schauend gegangen werden. Im Mitgehen erfährt der Betrachter Deutung seines eigenen Lebensweges.

Leben wird immer und überall begelitet vom Tod in seinen vielfältigen Schattierungen. Tod zu begreifen als Weg durch Schmerz und Dunkelheit zur Fülle des Lebens, als Weg durch die Engen des Lebens zur Freiheit, zur Erlösung, ist Sinn des Mitgehens.
Deshalb sind auch diese Ausdeutungen von Maximilian Fallers Kreuzwegstationen notwendigerweise subjektiv – auf dem Hintergrund sher persönlicher Lebenserfahrungen entstanden. Vielleicht ist auch geschehen, was schickslashaft mit jeglichem Kunstwerk geschehen kann: Es kann anders verstanden werden, als es gemeint ist. Verständnis ist auch immer Mißverständnis. Aber vielleicht ist das nicht wichtig im Gedanken daran, daß wahre Kunst, zumal religiöse, bedrängt und zur Stellungnahme zwingt. Man muß sich ihr immer und immer wieder aussetzen, jedes Detail auf sich wirken lassen. Nie wird der Betrachter zu einer endgültigen Deutung kommen, auch weil er in jedem Augenblick ein anderer ist. Hinzu kommt, daß für Reliefs in besonderer Weise gilt, was alle darstellende Kunst betrifft: sie stellt sich in verschiedenen Lichtverhältnissen jeweils anders dar. Zu jeder Tageszeit, mit dem Stand der Sonne, legt sich eine neue Deutung nahe – fast schon ein Symbol unseres Lebensweges.
Diese Meditationen sind also nur Momentaufnahmen, die sich in jedem Augen-blick relativieren. Sie sind entstanden während eines dreijährigen Mitgehens des Weges – in hellen und dunklen Stunden. Sie bleiben Fragmente, weil die wirkliche Tiefe der Bilder nie ganz auszuschöpfen ist und maches, was entdeckt wurde, ungesagt bleiben muß. Aber vielleicht scheint etwas durch von der Last, von den Engen, vom Schmerz dieses Weges, aber auch von seinem Mut, seiner Hoffnung und seiner Weite.

Sr. Christiane Rath OSB

1. Station
Jesus wird zum Tod verurteilt

„Mein Königreich ist nicht von dieser Welt“ (Joh 18,36)
Das Urteil ist gefallen.
Kaum sichtbar ist das Kreuz schon aufgerichtet. Im Schnittpunkt der Balken erscheint das Bild des römischen Kaisers, dort wo später die Inschrift stehen wird: Jesus von Nazareth, König der Juden. Der Betrachter wird unmittelbar in das Wechselspiel von Macht und Ohnmacht hineingezogen. Der Blick des Kaisers wendet sich ab vom Verurteilten, schneidet ihn Kraft seiner Macht ab vom Leben dieser Welt, und wendet sich hin zu Pilatus, der ihm als Werkzeug der Macht dient.
Jesus sagt im Verlauf des Prozesse zu Pilatus: „Du hättest keine Macht über mich, wenn es dir nicht von oben gegeben wäre“ (Joh 19,11).
Damit deutet er an, daß er das Spiel der Macht durchschaut. Pilatus läßt sich ganz auf dieses Spiel ein. Seine äußere Erscheinung verrät ihn: aggressiv und hilflos zugleich geht er auf Jesus zu, läßt sich als Werkzeug der Macht mißbrauchen, ängstlich besorgt um seine eigene, kleine Macht:“Wenn du ihn freiläßt, bist du kein Freund des Kaisers“ (Joh 19,12) haben ihm die Menschen zugerufen. Doch wie haltlos macht diese ängstliche Sorge. Das Streben nach scheinbarer Größe, nach Ehre und Ansehen löst sich gleichsam in nicht auf; der Nimbus der Welt verblaßt. Wirklich groß ist, wer das Spiel um die Macht in dieser Welt nicht mitspielt. Jesus steht souverän und in sich gesammelt da, mit beiden Füßen auf der Erde. Gelassen läßt er den Urteilsspruch über sich ergehen. „Wie ein Lamm, das man zum Schlachten führt, … so tat auch er seinen Mund nicht auf“ (Jes 53,7). Sein Zepter ist das Vertrauen auf den, der ihn durch den dunklen Weg führen wird, der vor ihm liegt: „Dein Stock und dein Stab geben mir Zuversicht“ (Ps 23,4). In dieser Glaubensgewißheit findet er die Kraft und den Mut zum Weg der Ohnmacht, und es erhebt sich ein anderes Reich, das nicht von dieser Welt ist, das Reich Gottes.

Geh, deine Stunde
Hat keine Schwestern, du bist –
bist zuhause. Ein Rad, langsam,
rollt aus sich selber, die Speichen
klettern,
klettern auf schwärzlichem Feld, die Nacht
braucht keine Sterne, nirgends
fragt es nach dir.

Paul Celan

2. Station
Jesus nimmt das Kreuz auf sich

„Christus war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein“ (Phil 2,6)
Groß und übermächtig steht das Kreuz im Mittelpunkt des Geschehens.
Jesus nimmt es bewußt an; er läßt es sich nicht auferlegen, sondern umfaßt es mit starken Händen. „Du gutes Kreuz, getrost und freudig komme ich zu dir“, heißt es in der Liturgie am Fest des heiligen Andreas, jenes Apostels, der nach der Legende als erster Jesus auf dem Kreuzweg folgte.
Noch hält Jesus der Last fast gelassen stand. Aber der Weg liegt schon steil vor ihm. Die Balken des Kreuzes zeigen die Richtung an: ein steiniger Weg, voller Stolpersteine, die ihn zu Fall bringen können, ein Weg in die abgrundtiefe Einsamkeit.
Schon wirft die große, freie Bildfläche Schatten, Schatten des Todes. Und doch leuchtet die andere, die neue Wirklichkeit auf: Christus, das Licht, der verklärte Christus, das Leben. Wie anders läßt sich die scheinbare Leichtigkeit erklären, mit der der Verurteilte die Last annimmt?

3. Station
Jesus fällt zum ersten Mal unter dem Kreuz

„Seht, hier ist euer Gott!“ (Jes 35,4)

Erstes Anzeichen des nahen Zusammenbruchs.
Jesus wird von der übergroßen Last niedergedrückt. Nur unter einem Strom von Schweiß hält er noch stand. Der Weg kostet ihn alles, die letzte Kraft. Der Weg wird zunehmend steiler. DIe Stolpersteine haben sich in Felsblöcke verwandelt. Die Kraft des Schweren und Dunklen und Schweren zieht ihn in den Abgrund.
Dennoch liegt auch über diesem Bild ein Schimmer von Hoffnung und Schwerelosigkeit. Ein übergroßer Nimbus, der wie eine Sonne im Herzen des Geschehenen steht, fesselt den Blick des Betrachters. Wieder begegnet uns darin schon der erhöhte Christus, die Sonne, die jedem Untergang einen Aufgang zu neuem Leben verheißt. „Macht die erschlafften Hände wieder stark und die wankenden Knie wieder fest! Sagt den Verzagten: Habt Mut, fürchtet euch nicht! Seht, hier ist euer Gott!“
(Jes 35, 3.4).

4. Station
Jesus begegnet seiner Mutter

„Mir geschehe!“ (Lk 1,38)

Hier geschieht Begegnung inmitten tiefster Einsamkeit.
Es ist ein Augenblick, der den schweren Weg Jesu noch einmal leichter macht. Das geteilte Leid vermindert die Last, läßt das Kreuz kleiner werden. Ganz dem Licht zugewandt steht Maria, die Mutter Jesu. Sie ist ganz Zuwendung. Sie weiß, was wahre Liebe ausmacht: das rechte Verhältnis von Distanz und Nähe, der Respekt vor der letzten Einsamkeit des anderen. Als Mutter weiß sie, daß sie nicht mehr tun kann und darf, als ihrem Sohn nahe zu sein und ihn für seinen schweren Weg freizugeben. Ihre Arme und Hände umklammern nicht, sie lassen los, wollen ihm nicht die Last entreißen.
Leben kann nur wachsen und reifen in Freiheit, im Zulassen des Unabwendbaren, auch und gerade in den dunkelsten Stunden.
Und der Sohn? Auch er kennt das Gesetz der Freiheit, das Gesetz des Weizenkorns, das untergehen muß, um Leben zu ermöglichen.
Nur mit dem Fuß des Kreuzes berührt er das Gewand seiner Mutter – eine zarte Berührung, Begegnung der Herzen.

5. Station
Simon von Cyrene hilft Jesus das Kreuz tragen

„Wer mein Jünger sein will, der nehme täglich sein Kreuz auf sich und folge mir nach“ (Lk 9, 23).

Richtungsänderung
DIe Aufmerksamkeit Jesu wendet sich in den folgenden Szenen mehr denen zu, die am Wegrand stehen. Da ist zunächst Simon von Cyrene. Von ihm berichten die Evangelien, daß er nicht freiwillig den Weg Jesu teilte, sondern daß ihn die Soldaten zwingen mußten, Jesus das Kreuz nachzutragen. Lukas fügt noch hinzu, daß Simon gerade vom Feld kam (Lk 23, 26). Er wird in seinem Alltag vom Kreuz Jesu überrascht und mitten im Leben zur Richtungsänderung gezwungen.
Seine gebeugte Haltung läßt spüren, wie sehr er an dem, was ihm zugemutet wird, trägt. So ist es denn Jesus, der ihm diese unerträgliche Last abnimmt, aufrecht und standfest. Er läßt ihm Zeit, seinen eigenen Schritt, sein eigenes Tempo auf dem Weg der Zumutungen zu finden. Nur die Gesichtszüge Jesu veraten den Schmerz der noch nicht gefundenen Annahme.

Der Blick Simons jedoch läßt ahnen, daß er auf dem Weg ist, zu begreifen, daß ihm die geheimen Zusamenhänge mit jedem Schritt klarer werden: „Die Leiden der gegenwärtigen Zeit bedeuten nichts im Vergleich zu der Herrlichkeit, die an uns offenbar werden soll“ (Röm 8,18).

6. Station
Veronika reicht Jesus das Schweißtuch


„Jetzt schauen wir in den Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht“ (1 Kor 13, 12)

Veronika stellt sich Jesus in den Weg.
Eine Frau, die fest im Leben steht. Sie tut das Naheliegende. Der Blick der Liebe schärft den Blick für die letzte Möglichkeit zu helfen. Selbst in Mitleid und Schmerz verliert sie diesen Blick nicht. Ihre Liebe überwindet Felsblöcke und macht diese zu unscheinbaren Kieselsteinen. Jesus spürt ihre ganzheitliche Zuwendung. Wie in der Begegnung mit seiner Mutter mindert auch diese Frau seine Kreuzeslast; die Balken sind kleiner gewaorden. Jesus sntwortet auf diese Liebe, die ihm geschenkt wird. Er schenkt sich dieser Frau zurück.
Das Schweißtuch, dem seine Gesichtszüge eingeprägt sind, ist Symbol dafür.
Die Liturgie faßt das Geschehen einmal in der Bitte zusammen: „Präge unser Herz nach deinem Herzen.“

7. Station
Jesus fällt zum zweiten Mal unter dem Kreuz

„Als Jesus auf Erden lebte, hat er mit lautem Schreien und unter Tränen Gebete und Bitten vor den gebracht, der ihn aus dem Tod retten konnte, und er ist erhört und aus seiner Angst befreit worden“ (Heb 5,7)

Der zweite Zusammenbruch unter der Last des Kreuzes bringt das Erliegen.
Es ist ein Sturz in Einsamkeit, Leere und Ungewißheit. Und doch: Selbst an diesem äußersten Tiefpunkt eröffnet sich für Jesus ein Raum der Zweisamkeit mit dem Vater. Betend, mit erhobenen Händen, richtet er sich auf den aus, von dem allein ihm noch Hilfe kommen kann. „Nimm mich auf, damit ich lebe, wie du es verheißen hast. Laß mich in meiner Hoffnung nicht scheitern!“ (Ps 119,116)
In solcher Hoffnung können die Stolpersteine zur Seite gelegt werden; sie sind nebensächliches Geröll. Nicht die Steine haben das letzte Wort, sondern Gott, dem sich der Sohn ganz anheim gibt. Gottes Wille ist Wille zum Leben.
In der am Boden liegenden Gestalt scheint schon der erhöhte Christus auf, ganz eingehüllt in den Glanz zukünftiger Herrlichkeit.

8. Station
Jesus begegnet den weinenden Frauen


„Gott wird alle Tränen von ihren Augen abwischen: Der Tod wird nicht mehr sein, keine Trauer, keine Klage, keine Mühsal“ (Offb 21,4)

Tränen gehören zum Geheimnis des Menschen. Tränen können Ausdruck des Mitleidens, des Angerührtwerdens durch fremdes Leid sein. Sie zeigen, daß der Mensch verwundbar ist, sein Herz noch nicht gefühllos und abgestumpft ist. Die Tränen der Frauen am Straßenrand sprechen wortlos aus: „Uns ist dein Elend nicht gleichgültig, wir möchten es dir abnehmen, aber wir können es nicht.“ Die weit geöffneten Augen JEsu vermitteln dem Betrachter eine unerwartete Antwort. Inmitten der klagenden Frauen wird Jeus zum Propheten. Sein eigentliches Leid ist nicht der körperliche Schmerz, sondern das Schicksal seines Volkes und aller, die ihm anvertraut sind.
Er ist über sein eigenes Schicksal erhoben und schaut mit prophetischem Blick das, was kommen wird. Er sucht nicht das Mitleid der Menschen, er will, daß sie umkehren und sich dem Reich Gottes öffnen.
Und genau an diesem Punkt scheiden sich die Geister.

9. Station
Jesus fällt zum dritten Mal unter dem Kreuz 


„Er ist der Stein, der von euch Bauleuten verworfen wurde, der aber zum Eckstein geworden ist“ (Apg 4, 11) .
Die Übermacht der Last zwingt Jesus ein drittes Mal zu Boden.
Vergebens kämpft er gegen das Übergewicht an. Dieses Kreuz ist für ihn Vorwegnahme der Todeserfahrung – begraben unter der Last der Balken, eingezwängt in tödliche Enge, in einen Abgrund der Verlassenheit. Unwillkürlich erinnert man sich an das Wort Jesu:
„Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fallt and stirbt, bleibt es allein“ (Joh 12, 24). Zermahlen zwischen Holz and Stein, zermahlen in der Mühle des Lebens – nur so wird sein Leben fruchtbar fur die Welt.
Nur so kann er zum Grundstein werden, auf dem sich das Reich Gottes aufrichtet. „Obwohl er der Sohn war, hat er durch Leiden den Gehorsam gelernt“ (Hebr 5, 8).

10. Station
Jesus wird seiner Kleider beraubt

„Er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave. Er erniedrigte sich und war gehorsam“ (Phil 2, 7.8).

Jesus wird das Letzte genommen, er wird entblößt.
Das Evangelium berichtet von dieser Szene in der Passivform. Das Bild jedoch zeigt die paulinische Deutung, wie sie im Philipperbrief zum Ausdruck kommt: Jesus erleidet nicht passiv sein Schicksal, sondern willigt bewußt ein. In der Übergabe seines Gewandes nimmt er zeichenhaft seine Selbstübergabe vorweg. Diese Hingabe ist Fleischwerdung seines absoluten Glaubensgehorsams. Gebeugt im Leid, dennoch aufrecht stehend, feststehend im Glauben, gibt er aus freiem Willen dem Vater seinen letzten Besitz.
Jesus erfüllt am Ende seines Leidensweges die Worte, die Hiob hochgemut sprach, als ihn sein Weg noch nicht in die letzte Nacht des Glaubens geführt hatte:
„Nackt kam ich hervor aus dem Schoß meiner Mutter, nackt kehre ich dahin zurück Der. Herr hat gegeben, der, Herr hat genommen; gelobt sei der Name des Herrn“ (Hiob,1, 21).

11. Station
Jesus wird ans Kreuz genagelt

„Es ist vollbracht!“ (Joh 19, 30).

Hier wird schon die Frucht der totalen Selbstübergabe geerntet.
Freiheit, Gelöstheit, Offenheit and Gelassenheit prägen das Bild. Obwohl der Schrecken des Todes jetzt den Höhepunkt erreicht, hat Jesus den Schritt in das neue Leben bereits getan. Sein eigentlicher Schmerz war ja nicht der körperliche, sondern sein Ringen um den Willen Gottes. Überall, wo das Ja zu diesem Willen gesprochen ist, leuchtet das Licht des neuen Lebens auf, wächst Freiheit. „Wo der Geist des Herrn weht, da ist Freiheit“ (2 Kor 3,17). Gegen solche Freiheit kann alle menschliche Anstrengung nichts ausrichten:
Mit ganzer Kraft treibt der Soldat den Nagel in die Hand Jesu and stemmt das Kreuz in die Höhe. Nocheinmal wird der Betrachter in das Wechselspiel der Macht einbezogen. Gegen die Macht der Freiheit vermag kein Mensch sich zu stemmen. „Tod, wo ist dein Stachel?“ (1 Kor 15, 55). Vergebens bäumt sich der Mensch auf gegen die Übermacht seines ohnmächtigen Gottes.

12. Station
Jesus stirbt am Kreuz

„Siehe, deine Mutter ! “ (Joh 19, 27)

Die Stunde Jesu ist auch die Stunde seiner Mutter und unsere Stunde.
Die Stunde seiner Erhöhung, seines Hinübergangs zum Leben ist auch die Stunde der Verheißung an uns:
„Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen“ (Joh 14, 18). Mit diesen Worten hatte Jesus seine Jünger im Abendmahlssaal getröstet. So steht selbstverständlich nun die als letzte unter dem Kreuz, die sich als erste wleder mit den Jüngern im Abendmahlssaal versammeln wird: Maria, seine Mutter, Urbild der Kirche. „Sie verharrten dort einmütig im Gebet, zusammen mit Maria, der Mutter Jesu“ (Apg 2, 14). Maria wird fortan den Jüngern and uns vorangehen und den Weg zu ihrem Sohn weisen.
Stellvertretend für die vielen, die sich ihr unsichtbar anschließen, erhebt sie die Hände zum Gebet and lehrt uns so, das zu tun, was allein uns am Ende bleiben wird: die freie Selbstübergabe, die Rückgabe des Lebens an ihn, den Urheber allen Lebens.
Stellvertretend für uns, für die ganze Kirche, empfängt sie die Frucht des Kreuzes: die Hoffnung auf Erlösung, auf die Fülle des Lebens für alle, die glauben.

13. Station
Jesus wird vom Kreuz abgenommen


„Und ich, wenn ich über die Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen“ (Joh 12, 32).

In der Geschichte der Spiritualität hat die Erzählung von der Kreuzabnahme immer wieder einen besonderen Platz eingenommen. In ihr sah man ein Bild für den Gipfel aller Christusmystik: die Vereinigung mit Christus, der sich vom Kreuz herabneigt. Diese liebevolle Umarmung des Menschen mit dem Gekreuzigten war die Erfüllung, nach der die mittelalterliche Chri- stusmystik strebte. Von diesem Gedanken ist die Darstellung ganz geprägt.
Dem Betrachter fällt zunächst eine überdimensional große Leiter ins Auge. Mit den Kreuzesbalken ragt sie über den Bildrand
hinau in jene Höhen, die für das Auge unsichtbar sind. Die Leiter ist von je her ein Symbol des geistlichen Weges zu Gott.
So erschien Gott dem Jakob im Traum auf der obersten Sprosse der Himmelsleiter, um ihm seinen Segen zu verheißen (Gen 28, 12 ff.).
Im Bild der Leiter weist der heilige Benedikt seinen Mönchen den Weg der Demut als Aufstieg zu Gott.
So darf vielleicht Josef von Arimathäa als der Mensch des geistlichen Lebens gedeutet werden.

Von ihm berichten alle vier Evangelien übereinstimmend, daß er ein Jünger Jesu, also einer war, der sich mit Jesus auf den Weg zum Vater gemacht hat. Die Anstrengung, die ihn dieser Weg kostet, ist ihm anzusehen. Die Last Jesu scheint ihn beinahe auszurenken, wie auch Jakob, dessen Hüftgelenk sich im Kampf mit Gott ausrenkte (Gen 32, 26). Und gerade diese fast übermäßige Anstrengung läßt ihn zur innigsten Einheit mit seinem Herrn gelangen. Gleichsam angeschmiegt an den Leib des Gekreuzigten wird er von Christus angezogen and getragen. So ist nicht eindeutig festzustellen, wer der Tragende and wer der Getragene ist. Zusammen können sie ihren schweren Weg weitergehen, gehalten von den B anden der Liebe, wie es die vom Kreuz herabhängenden Seile zu symbolisieren scheinen. Indem Josef von Arimathäa seinen Weg mit Christus geht, mit ihm in die gleiche Richtung schaut, beginnt sein Gesicht zu leuchten, wird es in ihm hell, strahlt in ihm schon jetzt ewiges Licht auf. So kann für ihn das Wort wahr werden: „Nichts ist schwer, sind wir nur leicht“ – leicht in der Gemeinschaft mit Christus.

14. Station
Jesus wird in das Grab gelegt

„Hoffnung aber, die man schon erfüllt sieht, ist keine Hoffnung“ (Röm 8, 24) .

Der Tod ist das letzte Geheimnis unseres Lebens.
Wer hätte nicht schon am Grab eines geliebten Menschen empfunden, was hier dargestellt ist. Nirgendwo spüren wir stärker unsere Solidarität mit der ganzen Schöpfung. Und Gott hat selbst seinen eigenen Sohn nicht davor bewahrt: „Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein. Er erniedrigte sich and war gehorsam bis zum Tod“ (Phil 2, 6.8). Wirklich zu verstehen ist diesess Geheimnis nicht. Was bleibt, ist das schweigende Warten auf Antwort. Auch in ihrer schweigenden Haltung ist Maria für den suchenden Menschen Stütze im Glauben. Ihre Hände haben losgelassen. Wer dies nicht wie sie im Leben gelernt hat, von dem fordert es der Tod. Der Tod der anderen und spätestens der eigene. Aber es ist nicht ein Loslassen in Verzweiflung oder ein Loslassen aus Resignation vor der Unabänderlichkeit unseres „Daseins zum Tode“, sondern wer alles gelassen hat, dessen Hände sind leer und bereit zu empfangen.

Er kann „hoffen gegen alle Hoffnung“ (Röm 4, 18) and mit Paulus sagen: „Deshalb gilt: ‚aus Glauben‘, damit auch gilt: ‚aus Gnade“` (Röm 4, 16). Was könnte besser am Ende unseres Lebens stehen?