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A

Abt / Äbtissin (lat. Abbas „Vater“) Von der Gemeinschaft eines selbständigen Klosters frei gewählt (auf Lebenszeit oder für ca. 12 Jahre) geistlicher Vater /geistliche Mutter. Abt und Äbtissin erhalten eine kirchliche Weihe.
Abtei Haus und Lebensbereich einer selbständigen Gemeinschaft von Mönchen oder Nonnen.
Askese (griechisch Askese „Übung“) Die Einübung in ein Leben, das ausgerichtet ist auf Gott und von diesem Ziel her den bewussten und gewollten Verzicht auf bestimmte Lebensvollzüge einschließt.

B

Benediktsregel Die Benediktsregel (Regula Benedicti) wurde um 529 vom heiligen Benedikt von Nursia als Lebensregel für Mönche und Nonnen verfasst. Ursprünglich galt die Regel für das von ihm gegründete Gemeinschaftskloster Monte Cassino in Mittelitalien. Seit dem Mittelalter ist die Benediktsregel die einheitliche Lebensgrundlage für alle Klöster des Ordens der Benediktiner (Ordo Sancti Benedicti, OSB).

Die Benediktsregel besteht aus einem Prolog und 73 Kapiteln:

  • Der Prolog und die Kapitel 1 bis 3 umfassen Grundlegendes zum Mönchsleben.
  • Die Kapitel 4 bis 7 befassen sich mit den monastischen Tugenden, vor allem Gehorsam, Schweigen und Demut.
  • Die Kapitel 8 bis 20 treffen Anordnungen für das opus Dei, den Gottesdienst, der im benediktinischen Leben einen großen Stellenwert einnimmt.
  • Die Kapitel 21 bis 30 klären Strafen für Verstöße gegen die Regel.
  • Die Kapitel 31 bis 57 geben Anweisung über die Verwaltung des Klosters, die Dienste der Mönche, die Versorgung der Mönche, die Aufnahme von Gästen und den Umgang mit den Handwerkern und Künstlern des Klosters.
  • Die Kapitel 58 bis 66 regeln die Aufnahme von Novizen, die Rangordnung in der Gemeinschaft, die Einsetzung von Prior und Abt und die Aufgaben des Pförtners. Gemäß Kapitel 58 umfasst das Ordensgelübde die Versprechen von Beständigkeit (Stabilitas loci, das heißt Bindung an ein bestimmtes Kloster, bzw. eine bestimmte Gemeinschaft), klösterlichem Lebenswandel und Gehorsam.
  • Die Kapitel 67 bis 72 gelten als Nachträge. Sie geben Weisungen für den Umgang der Brüder untereinander.
  • Kapitel 73 ist ein Epilog
Brevier (lat.: breviarium, von brevis „kurz“) Buch, in dem alle Psalmen und Gebete des Chorgebetes für die einzelnen Gebetszeiten enthalten sind.

 

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C

Cellerar / Cellerarin Ein Cellerar/eine Cellerarin ist der bzw. die Verantwortliche für die wirtschaftlichen Belange und die Verwaltung des Klosters. Die Aufgaben sind im Kapitel 31 der Benediktsregel beschrieben.
Chor / Chorgestühl Raum innerhalb einer Kirche, in dem das Chorgebet verrichtet wird.
Choral Einstimmige Gesänge für die römisch-lateinische Liturgie mit eigenen Tonarten (auch Kirchentonarten genannt). Als musikalische Ausformung des biblischen Textes ist der Choral Bestandteil der liturgischen Handlung. Die ältesten Choral-Handschriften stammen aus dem 8./9. Jhdt.
Chorgebet Das im Chor der Klosterkirche mehrmals täglich zu festen Zeiten gesungene oder rezitierte Chorgebet strukturiert den Tag einer Klostergemeinschaft, die damit ihren kirchlichen Auftrag zum Stundengebet erfüllt.

E

Einkleidung Einkleidung ist der feierliche Akt der Übergabe des Ordensgewandes an ein neues Ordensmitglied zur Aufnahme in das Noviziat. Das neue Ordensmitglied erhält mit der Einkleidung in der Regel auch einen neuen Ordensnamen.
Eucharistie /Heilige Messe Das Wort Eucharistie bedeutet Danksagung. Die Eucharistie – auch Abendmahl – ist eines der sieben Sakramente. Die Liturgie der Eucharistie ist die Vergegenwärtigung des letzten Mahles Jesu mit seinen Jüngern. In allen Kirchen sind Brot (in der Regel Hostien) und Wein die verwendeten Elemente, die gespendet und empfangen werden (Brot = Leib Christi, Wein = Blut Christi).
Exerzitien Exerzitien sind geistliche Übungen, die auf den heiligen Ignatius von Loyola zurückgehen; sie beinhalten Zeiten der inneren Einkehr, der Betrachtung der Heiligen Schrift, des Schweigens und des Gebets.

 

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H

Habit Habit ist die Ordenstracht einer Ordensgemeinschaft. Das Wort ist abgeleitet vom lat. Habitus „Haltung, Gestalt“. Der Habit soll als einheitliches Gewand die Verbundenheit der Ordensmitglieder betonen und ist das äußere Zeichen eines einfachen Lebensstils:

  • Benediktiner: schwarzes Gewand
  • Zisterzienser, Kartäuser: weißes Gewand
  • Franziskaner: braunes Gewand
  • Dominikaner: schwarz-weißes Gewand
Hore (lat. Hora: „Stunde“) Stundengebete der Klostergemeinschaft.

Siehe Stundengebet

Hostie (lat. hostia „Opfer, Opfergabe“) Hostie bezeichnet das zur Eucharistie verwendete Brot.

 

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I

Infirmerie Infirmerie ist die Krankenabteilung in einem Kloster.

K

Kantor / Kantorin (lat. cantare „singen“, Kantor „Sänger“) Als Kantor/Kantorin wird der bzw. die Vorsänger/Vorsängerin oder Chorleiter/Chorleiterin im Gottesdienst bezeichnet.
Kapitel Raum, in dem man sich zu Beratungen (Kapitelsitzungen) und wichtigen klösterlichen Vollzügen (Abtswahl, Einkleidung usw.) versammelt.
Klausur (lat. claudere „schließen“) Geschützter Lebensbereich innerhalb eines Klosters, der den notwendigen Raum der Stille und Sammlung ermöglichen soll und von Außenstehenden nur in Ausnahmefällen betreten werden darf.
Klerus Als Klerus bezeichnet man die Gesamtheit aller katholischen Geistlichen.
Kloster (lat. claustrum „verschlossener Ort“) Ein Kloster ist ein Gebäude, in dem Ordensgemeinschaften leben. Die monastischen Klöster des Benediktiner- und Zisterzienserordens werden Abtei genannt. Die dort lebenden Gemeinschaften werden von einem Abt oder einer Äbtissin geleitet.
Kommunität /Konvent (lat. communitas „Gemeinwesen“) Kommunität bezeichnet ebenso wie der Begriff Konvent die Ordensgemeinschaft als Ganzes. Konvent wird bisweilen auch der Wohnbereich eines Klosters genannt.
Komplet Siehe Stundengebet
Kongregation Zusammenschluss mehrerer selbständiger Klöster und Abteien mit gemeinsamen Konstitutionen.
Konstitutionen (oder Deklarationen) Erläuterungen und Auslegungen zur Benediktsregel und für das gemeinsame Leben in den Klöstern..
Kontemplativ (lat. contemplari: „beschaulich, d.h. ganz auf Gott hin ausgerichtet leben,“) Kontemplation ist in philosophischen und religiösen Texten die Bezeichnung für ein konzentriertes Betrachten eines geistigen ungegenständlichen Objektes.
   
Kreuzgang Rechteckiger (offener oder überdachter), um einen Garten (Kreuzgarten) angelegter Gang, der die Gemeinschaftsräume eines Klosters miteinander verbindet und durch seine Anlage für Prozessionen wie auch für die persönliche Meditation genutzt werden kann.
Kukulle (lat. cucullus „Tüte“, in übertragener Bedeutung „Kapuze“) Vielfaltiger Mantel als Teil des Habits, der zum Chorgebet getragen wird.

 

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L

Laudes Siehe Stundengebet
Lectio divina Geistliche Schriftlesung, Betrachtung und Meditation der Heiligen Schrift.
Liturgie (aus dem lat. „Gottesdienst“) Liturgie bezeichnet die christlichen und jüdischen Rituale zur Verehrung Gottes und zur Vertiefung des Glaubens in der Gemeinde. Liturgie ist die prägende Lebensmitte jeder Klostergemeinschaft, die sich in der Feier der Eucharistie und des gemeinsamen Stundengebetes entfaltet.

M

Magister / Magistra (aus dem lat.“ LehrerIn / NovizenmeisterIn“): Geistlicher Begleiter/Geistliche Begleiterin der jungen Nonnen und Mönche, die sich in ihrer Berufung prüfen und auf die Profess vorbereiten (Postulanten, Novizen, in Frauenklöstern auch die zeitlichen Professen).
Meditation (lat. Meditatio „Betrachtung“)
Mittagshore Siehe Stundengebet
Mönch (lat. Monachus „Mönch“): Männliches Mitglied eines kontemplativen Ordens.
Monastisch Bezeichnung im Christentum für das Klosterleben; d.h., alles, was der Benediktsregel, den Konstitutionen und den jeweiligen Hausbräuchen eines Klosters entspricht. Aus dem verwandten lat. Wort monasterium leiten sich in anderen Sprachen die Bezeichnung für Kloster und für bestimmte Kirchengebäude ab; z.B.: monastery (englisch), monastère (französisch) oder auch auf Deutsch „Münster“

 

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N

Nonne Weibliches Mitglied eines kontemplativen Ordens.
Noviziat Das Noviziat ist die Probe- und Einführungszeit von Novizen / Novizinnen (neue Ordensmitglieder), um die Berufung für das Ordensleben zu prüfen (ein bis zwei Jahre).

O

Oberin Eine Oberin ist Leiterin einer Schwesternschaft und somit die Vorsteherin einer klösterlichen Gemeinschaft. Die Oberin einer selbständigen Abtei wird als Äbtissin bezeichnet.
Ora-et-labora (aus dem lat.„bete und arbeite“) ora-et-labora ist ein Grundsatz, der sich auf den Lebensrhythmus des Ordens der Benediktiner bezieht. Vollständig lautet der Grundsatz ora-et-labora-et-lege, Deus adest sine mora (bete und arbeite und lies, Gott ist da ohne Verzug). Obwohl der Grundsatz das Leben in den benediktinischen Klöstern bestimmt, ist er in dieser Form nicht in der Benediktsregel enthalten.
Orden Ein Orden ist eine Gemeinschaft (auch Ordensgemeinschaft) von Brüdern und Schwestern, Mönchen und Nonnen, die auf Basis einer bestimmten Ordensregel und durch Ablegen des Ordensgelübdes an ein geistliches Leben gebunden sind.

 

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P

Postulant / Postulantin Anwärter bzw. Anwärterin für das Klosterleben. Diese leben unverbindlich bis zur eventuellen Einkleidung und Aufnahme in das Noviziat in der Klostergemeinschaft.
Primas Oberster Repräsentant aller benediktinischen Ordensgemeinschaften auf der ganzen Welt mit Sitz in Rom.
Prior / Priorin Stellvertreter des Abtes bzw. Stellvertreterin der Äbtissin.
Profess (aus dem lat. „Bekenntnis“) Bindung an eine kontemplative Gemeinschaft durch die drei monastischen Gelübde der Beständigkeit (Stabilitas), des klösterlichen Lebenswandels (Conversatio morum) und des Gehorsams (Oboedientia). Nach dem Noviziat legt der Novize /die Novizin zunächst die Gelübde für drei Jahre (sogenannte zeitliche Profess) ab; anschließend bindet er /sie sich auf Lebenszeit an eine Gemeinschaft (feierliche Profess).

 

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R

Refektorium (lat. refectio „Wiederherstellung“, „Erfrischung“) Das Refektorium ist der Speisesaal des Klosters. In den Klöstern, die ein Gästehaus haben, gibt es außerdem ein den Gästen vorbehaltenes „Gästerefektorium“.

S

Sakramente (lat. sacramentum „Zeichen des Heils“) Sichtbare Zeichen einer verborgenen Heilswirklichkeit. In den Sakramenten ist Jesus Christus selbst gegenwärtig und wirkt durch seine Kirche. Es gibt sieben Sakramente:

Taufe, Firmung, Eucharistie nehmen den Menschen in die Gemeinschaft der Gläubigen auf; Ehe und Weihe (Diakon- Priester- und Bischofsweihe) stärken die Empfänger für ihren Ehebund bzw. für ihren Dienst in der Kirche; Beichte und Krankensalbung sind die Sakramente der Heilung.

Sakristei Die Sakristei als Vorraum zur Kirche steht den Priestern zur Vorbereitung des Gottesdienstes zur Verfügung.
Scholastika (lat. scholastica „Die Lernende“) Die heilige Scholastika war die Schwester des heiligen Benedikt und gilt als Vorsteherin des ersten benediktinischen Frauenklosters. Scholastika ist ein, zumeist in Klöstern gebräuchlicher, weiblicher Vorname mit Namenstag am 10. Februar.
Silentium (aus dem lat. „Schweigen“) Festgelegte Zeiten des Stillschweigens, die dem einzelnen den Raum der lebendigen und persönlichen Begegnung mit Gott ermöglichen sollen.
Sr. Sr. ist die Abkürzung des lateinischen soror („Schwester, Ordensfrau“) und wird dem Namen der Nonne vorangestellt. Gesprochene Form: Schwester + Vorname.

Geschriebene Form: Sr. + Vorname.

Statio Teil des Kreuzganges; Ort der Sammlung und des Schweigens, an dem sich die Gemeinschaft zum Einzug in den Chor versammelt.
Stundengebet Das Stundengebet bezieht sich auf das Apostelwort „bete ohne Unterlass“ und auf das Psalmwort „Siebenmal am Tag singe ich Dein Lob und nachts stehe ich auf, um Dich zu preisen“. Das Stundengebet ist am Zyklus des Tageslaufs, dem Wechsel von Schlafen und Wachen, Licht und Dunkelheit sowie Arbeit und Ruhe orientiert.

Der heilige Benedikt teilt das tägliche Stundengebet in Horen (lat. hora „Stunde“) ein:

  • die erste Hore nennt man Vigilien, sie ist das ursprüngliche Nachtgebet der Mönche und findet heute in der Regel am Vorabend statt
  • die Laudes sind das Morgengebet zwischen 5:30 und 8:00
  • die kleinen Horen wurden ursprünglich im Abstand von drei Stunden ( 6:00, 9:00, 12:00 und 15:00) gebetet. Diese sind
    • Prim, die heute in der Regel in Einheit mit den Laudes gebetet wird
    • Terz, die entweder unmittelbar vor der Heiligen Messe oder in diese integriert gebetet wird
    • Sext
    • Non
    • Heute ist es üblich, die beiden kleinen Horen Sext und Non zu einer Mittagshore zusammen zu fassen
  • Die Vesper ist das zentrale Abendgebet der Kirche und wird vor dem Abendessen gebetet (zwischen 17:00 und 18:00)
  • Die Komplet ist die letzte Hore des Tages, die zwischen 19:30 und 21:00 gebetet wird. Danach setzt das nächtliche Schweigen ein, das nur durch die Vigilien unterbrochen wird.

 

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V

Vesper Siehe Stundengebet
Vigilien Siehe Stundengebet

Z

Zelle (lat. Cella „Raum“): Gebets- und Schlafraum der Nonnen bzw. der Mönche. Die Zelle ist bevorzugter Ort mönchischen Alleinseins; der Mönch liebt sie als Stätte, in der er unter den Augen Gottes bei sich selbst zu Hause sein kann.
Zisterzienser Die Zisterzienser sind ein Reformorden, der im 11. Jahrhundert aus den Benediktinern hervorgegangen ist. Die Namensgebung erfolgte aus dem Kloster Cîteaux (lat. cistercium).

 

„Wer ist der Mensch, der das Leben liebt und gute Tage zu sehen wünscht?“ (Psalm 34, 13; Benediktusregel, Prolog 15)

Wenn Sie das hören und erwidern: „Ich“, so sagen wir Ihnen heute mit Worten der Regel des hl. Benedikt:
„Kommt eine neu und will das klösterliche Leben beginnen, werde ihr der Eintritt nicht leicht gewährt, sondern man richte sich nach dem Wort des Apostels: „Prüft die Geister, ob sie aus Gott sind.“ (Regel des hl. Benedikt 58, 1.2)

Das heißt konkret: Ihnen und uns wird eine lange Zeit geschenkt, in der wir gemeinsam prüfen können, ob das Leben mit Gott in unserem Kloster wirklich Ihr Weg ist. Diese Zeit dauert wenigstens 5 ½ bis 6 Jahre. Zunächst sind Sie zu einigen ganz unverbindlichen Besuchen und Gesprächen eingeladen. Erleben Sie die Atmosphäre vor Ort, hören Sie auf die Stimme Gottes in Ihrem eigenen Herzen, öffnen Sie sich in Gesprächen mit der Noviziatsleiterin und fragen Sie sich: Könnte das der von Gott für mich ausersehene Lebensweg sein? Weiterlesen

Lauschende

Sie wartet auf Botschaft, schon lange.

Jemand hat ihr gesagt: Sei wachsam, lausche, halte dich still und die Hand ans Ohr.

Irgendwo wird das Wort ausgesprochen. Irgendwo schlägt die Glocke an.

Irgendwann wird sich der Ton ausfiltern lassen aus dem Geräusch des Windes.

Auf diesen Ton bist du gestimmt, so lausche.

(Gertrud Fussenegger)

Das zweite Kriterium, das der heilige Benedikt nennt, um zu beurteilen, ob einer wirklich Gott sucht, ist der Gehorsam. An nicht weniger als 35 Stellen kommen die Begriffe „gehorchen“ und „Gehorsam“ in unserer Regel vor. Dies weist darauf hin, dass wir es hier mit einem Grundbegriff, besser gesagt mit einer Grundhaltung im benediktinischen Leben zu tun haben. Dem Gehorsam ist in späterer Zeit sogar ein eigenes Gelübde gewidmet worden – dem alten Mönchtum war ein Gehorsamsgelübde noch unbekannt.

In unserer Zeit, die durch eine tiefsitzende Autoritäts- und Gehorsamskrise gekennzeichnet ist, tut es vielleicht gut, einmal in die Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils „Lumen Gentium“ hineinzuschauen. Dort wird der Gehorsam als einer der drei evangelischen Räte in Nr. 43 als „donum divinum“, als göttliche Gabe, bezeichnet. Ist das nicht ein wunderbarer Gedanke? Der Gehorsam als Geschenk Gottes an uns, an die Kirche. Ein Geschenk ist immer Zeichen der Liebe des Schenkenden zum Beschenkten. Ein Geschenk will Freude machen. Wie sehr hebt sich von dieser Betrachtungsweise die landläufige Meinung ab, Gehorsam habe nur mit Verzicht und Einschränkung zu tun, enge uns ein in unserer Freiheit und in unserem Recht auf Selbstbestimmung.

Dem heiligen Benedikt hätte die Definition des Konzils sicher sehr gefallen. Am Ende der Regel in Kap. 71,1 nennt er den Gehorsam ein Gut, ein „bonum“, das Gott uns anvertraut, um uns zu sich zu führen. Um den Wert dieses Gutes zu verstehen, braucht es die Sicht des Glaubens. Es reicht also nicht, den Gehorsam nur anthropologisch, psychologisch und soziologisch zu betrachten. Wir müssen unseren Blick auf die geistlich-theologische Dimension hin weiten. Sonst werden wir den Gehorsam niemals verstehen, geschweige denn leben können.

Zu Beginn des Kapitels über den Gehorsam (RB 5,2) kommt Benedikt gleich zum Kern: “Der Gehorsam ist die Haltung derer, denen die Liebe zu Christus über alles geht.“ Letztlich geht es also um die Freiheit zur Liebe, um die Nachfolge dessen, der selbst gehorsam war bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz, wie es der Philipperhymnus (Phil 2,8) sagt. Nur wenn wir den Gehorsam aus dieser Glaubensperspektive heraus verstehen, können wir ihm gerecht werden.

Wo aber liegen für uns die Wurzeln eines solchen religiös motivierten Gehorsams? Jeder von uns erfährt als unvollständig und ergänzungsbedürftig, ja als erlösungsbedürftig. Wir stehen als geschaffene Wesen immer schon unter einem Ruf. „Im Anfang war das Wort“ (Joh 1,1) – dieses Wort ruft uns zur Ant-wort. Karl Rahner hat den Menschen einmal als „Hörer des Wortes“ definiert. Wir sind also vom Ursprung her auf das Wort und auf das Hören und Gehorchen hin angelegt. Wir können nur dann voll und ganz Mensch werden, wenn wir diesem Anruf folgen – so wie Christus selbst ganz unter dem Anspruch des Willens Gottes stand. Der Gehorsam Jesu war Ausdruck seines tiefsten Wesens selbst, seiner wesenhaften Verankerung im Vater. Und auch wir wollen uns dort verankern, wenn wir beten: „Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.“ In diese Schule will uns der heilige Benedikt führen und begleiten.

Nicht umsonst lauten die ersten Worte seiner Regel: “Höre, mein Sohn, auf die Lehren des Meisters und neige das Ohr deines Herzens“ (Prol 1). Hören ist das Grundwort und der Grundvollzug unseres benediktinischen Lebens. Am Anfang eines jeden Lebens der Nachfolge steht ja eine Berufungsgeschichte, bricht das Bewusstsein in uns durch, dass Gott sein Wort ganz persönlich an mich richtet und auf eine Ant-Wort wartet. Deshalb spielt das Hören und Gehorchen auch im Prolog unserer Regel, der ja eine Berufungsgeschichte in Form eines Dialogs ist, eine so herausragende Rolle. Dieses erste Wort „Obsculta“, „Höre“ greift die biblische Tradition auf, die mit dem Wort „Höre Israel“ (Audi, Israel) die Verkündigung der Tora auf dem Sinai beginnt. Mit dem „Hören“ wird auch die Theophanie auf dem Berg der Verklärung – dem neutestamentlichen Sinai – beschlossen. Dort, auf dem Tabor, sagt die Stimme aus der Wolke: „Auf Ihn sollt ihr hören“ (Ipsum audite). Hier schließt sich der Kreis, und wir beginnen zu ahnen, dass im Hören und Gehorchen das dialogische Geschehen zwischen Gott und Mensch seinen Anfang nimmt und zugleich seine Vollendung findet.

Stets bereit sein zu hören, das ist unsere Lebensaufgabe als Gottsucher. Dieses Hören ist ein Hören mit der ganzen Person, mit Leib und Geist, und fordert die Kräfte der Liebe wie auch des Verstandes. Dazu gehört eine Wachheit der Wahrnehmung, eine Offenheit und Achtsamkeit für die leisen Töne, für die Zwischentöne und für die Grundmelodien, die manchmal hinter den vordergründigen Akkorden liegen. Solches im wahrsten Sinne des Wortes diskretes, nämlich unterscheidendes, Hören will gelernt sein und erfordert lebenslange Einübung – ähnlich wie wir es beim Beten gesehen haben. In gewisser Weise fordert das Hören auch eine demütige Grundhaltung des Herzens. Nicht umsonst bezeichnet der hl. Benedikt den Gehorsam als „höchste Stufe der Demut“ (RB 5,1) Wir müssen lernen, im Hören von uns selbst abzusehen (uns selbst zu verleugnen – abnegare semetipsum), nur dann werden wir offen für das Wort und die Weisung Gottes, die uns auf so unendlich vielfältige Weise begegnen kann: in Seinem Wort selbst, in der Liturgie, in Begegnungen mit Menschen, im Ereignishaften und in den berühmten Zufällen unseres Lebens.

Solches Hören können wir allerdings nur dann, wenn wir auch schweigen gelernt haben, wenn wir den Lärm außen, aber auch den Lärm in unseren eigenen Herzen zur Ruhe bringen. Wir müssen uns deshalb in unserem Alltag immer wieder und immer neu kleine Räume der Stille schaffen und, so wir sie gefunden haben, sie hüten wie einen kostbaren Schatz.

Wichtig erscheint mir auch, dass wir uns mehr und mehr unabhängig machen davon, ob uns das Gehörte gefällt oder nicht, ob wir es hören wollen oder nicht. Fragen wir uns einmal ganz selbstkritisch: höre ich nicht oft nur das, was ich hören will? Kann ich überhaupt zuhören? Oder bin ich nur mit halbem Ohr dabei und warte nur darauf, das, was mich beschäftigt vorbringen oder meine Meinung äußern zu können?

Schon das richtige Hören ist schwer. Noch schwerer aber ist oft das Eigentliche. Denn vor allem gilt ja: wir müssen das Gehörte auch tun. Vom Hören (audire) zum Gehorchen (oboedire) ist es manchmal nur ein ganz kleiner Schritt. Dieser allerdings kostet nicht selten Selbstüberwindung und fordert von uns, unsere Ichbezogenheit hinter uns zu lassen und unseren Eigenwillen zu übersteigen.

Der Ernstfall des Gehorsams liegt dort, wo wir einwilligen in den Willen eines anderen – manchmal eben auch gegen unsere eigene Überzeugung, gegen unsere Pläne, Wünsche und Hoffnungen. Wir können dies nur, wenn wir daran glauben, dass Gott in allem, auch in dem, was uns schwerfällt, gegenwärtig ist (wir werden morgen bei den „Obprobria“ noch darüber sprechen). Es ist bezeichnend, dass der hl. Benedikt gerade diesem Ernstfall des Gehorsams ein eigenes Kapitel widmet (Kap. 68). Wenn einem Bruder Unmögliches aufgetragen wird, so heißt es dort am Schluss: „ … dann gehorche er aus Liebe, im Vertrauen auf die Hilfe Gottes“. Wer eine ähnliche Situation selbst schon einmal erlebt hat, der wird wissen, wie schwer dies sein kann, aber auch welche ungeahnten Kräfte uns zuwachsen können, wenn wir diesen Schritt über uns selbst hinaus einmal getan haben. Hier geschehen bisweilen wirkliche Wunder im Alltag. Wir müssen nur Augen haben, sie zu sehen.

Freilich, und darauf legt Benedikt besonderen Wert, soll der Gehorsam, auch wenn er schwer fällt, frohen und beschwingten Herzens geleistet werden. Halbherzigkeit ist seine Sache nicht. „Die Jünger müssen den Gehorsam mit frohem Herzen leisten, denn Gott liebt einen fröhlichen Geber“ (RB 5,16). Wie oft passiert es uns, dass wir uns in unseren Plänen nur sehr ungern stören lassen, dass wir im Grunde unseres Herzens eigentlich wütend sind und murren, dass unser Gehorsam also nur äußere Fassade ist, hinter der es brodelt und bröckelt. Wir sollten dann ehrlich mit uns und mit den anderen sein und nicht mehr scheinen wollen als wir sind. Der Gehorsam darf schwer fallen, aber er muss um der Liebe willen ohne Murren geleistet werden, „sonst findet er kein Gefallen vor Gott“ (RB 5,18).

Es ist bezeichnend, dass Benedikt nicht nur den „sozialen“ Gehorsam dem Oberen oder den Älteren gegenüber einfordert, sondern seinen Schülern auch den gegenseitigen Gehorsam besonders ans Herz legt. Im 72. Kapitel steht sogar der wuchtige Satz: “Sie sollen sich in gegenseitigem Gehorsam überbieten“. Hier werden alle Autoritätsverhältnisse transzendiert. Und genau an dieser Stelle kommen wir dann auch zum wichtigsten Deutungspunkt des Gehorsams. Der Gehorsam ist Ausdruck unserer Liebe. An vier Stellen verbindet der hl. Benedikt den Gehorsam und die Liebe miteinander: RB 5,2; RB 7,34; RB 68,5 und RB 71,4. Keine Befehle also oder Entgegennehmen von Befehlen, aber eine Kultur des gegenseitigen Wohlwollens und der brüderlich-schwesterlichen Dienstbereitschaft: die Erziehung zu einer offenen, wohlwollenden Hörbereitschaft untereinander. Hier wird Gehorsam zu gegenseitiger Dienstbarkeit in Liebe. Solche Liebe ahmt den liebenden Gehorsam Christi nach, wie er vor allem im Johannesevangelium immer wieder bezeugt wird.

Von der christlichen Ethik her kennt der Gehorsam, wie wir wissen, nur eine Grenze: wenn ein Auftrag unvereinbar ist mit dem persönlichen Gewissen – Gewissen, nicht persönliche Einsicht, die wir ja gerne fürs Gewissen halten. Der Gehorsam, wie der heilige Benedikt ihn versteht, ist kein Kadaver-Gehorsam. Er stellt hohe Anforderungen an unsere Verantwortung. Dabei bleibt er aber immer personal auf Gott hin ausgerichtet: „Ich bin nicht gekommen, meinen Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat“ (Joh 6,38; RB 7,31). Wer sich auf den Weg der Christusnachfolge macht, der wirft sein ganzes Leben in die Waagschale. Billiger ist es nicht zu haben. Wir dürfen aber fest darauf vertrauen, dass Gott uns einlädt aufgrund unserer Berufung, uns in diesem Gehorsam preiszugeben, um uns zutiefst zu befreien. Denn, so sagen die Väter, der Gehorsam ist befreiend wie nichts sonst. Diese Verheißung gibt uns auch die Benediktsregel, wenn es dort im Prolog 49 heißt: „Wer aber im klösterlichen Leben und im Glauben fortschreitet, dem weitet sich das Herz, und er geht den Weg der Gebote Gottes in unsagbarer Freude der Liebe.“

Am Schluss möchte ich noch ein etwas längeres Zitat eines modernen Kirchenvaters vorlegen. Es stammt von Karl Rahner und ist bereits so etwas wie ein Klassiker geworden. Meines Erachtens fasst es all das zusammen, worüber wir gemeinsam nachgedacht haben.

„Was kann man tun, um am Ende seines Lebens vor Gott bestehen zu können? Nichts kann natürlich bei ihm bestehen, als was er in seiner Gnade als seiner würdig aus reinem Erbarmen geschenkt hat … Man kann sich aber einem Größeren ausliefern; man kann dafür sorgen, dass dieses Größere nicht nur Ideal und Theorie bleibt, die man im Grunde doch immer selbst in der Hand und Gewalt hat und die man nach eigenem Gutdünken formen kann, so dass man sie von den bloßen Götzen unseres Herzens nicht mehr deutlich unterscheiden kann … Und dies geschieht, wo das Größere, dem wir uns ausliefern, eine reale greifbare Macht eigener, von uns aus unberechenbarer Größe wird: wenn das Wort der befehlenden Forderung an uns ergeht – und wenn wir gehorchen. Schweigend gehorchen, in einem wahren Sinn fraglos gehorchen, wenn wir dienen und uns von der Forderung, die wir nicht selbst ausgedacht haben, verbrauchen lassen… Vielleicht glückt es uns dann, Person zu werden, die ist, in dem sie sich vergisst, und opfert, in dem sie gehorsam ist. Vielleicht muss man, um gehorsam zu werden, damit man sich selbst überschreite und verliere –  die einzige Möglichkeit, sich wahrhaft zu gewinnen – sogar am Gehorsam gar nichts Besonderes finden, gar nicht an ihn denken, sondern an die Wirklichkeit, der man dient, der man dient, selbstverständlich dient, weil sie allen Dienst und alle Liebe verdient, weil sie letztlich keine Sache ist, sondern die Person schlechthin: Gott. Vielleicht ist der wahrhaft Gehorsame einfach der Liebende, dem das Opfer der Hingabe süß ist und ein seliges Müssen.“

 

 

Gott, du mein Gott, dich suche ich;
es dürstet nach dir meine Seele.
Nach dir verlangt mein Leib
Gleich einem dürren, lechzenden Land
ohne Wasser.
So schaue ich aus nach dir im heiligen Zelt,
deine Kraft und deine Herrlichkeit
möchte ich schauen.
Denn besser ist deine Huld als das Leben,
meine Lippen singen dir Lob.
Ich will dich rühmen mein Leben lang,
in deinem Namen erhebe ich meine Hände.
(aus Psalm 63)

Wenn der hl. Benedikt als erstes Prüfungs-Kriterium für den neubeginnenden Novizen nennt, „ob er Eifer hat für das Opus Dei“ (Benediktusregel Kap. 58, 7), dann zeigt sich darin, dass er eben dieses Opus Dei als den vornehmsten Ausdruck der Gottsuche und ein jeder Berufung betrachtet. Das gilt keineswegs nur für den Anfänger. Für jeden, auch für die, die das Leben der Nachfolge im Geist des hl. Benedikt schon lange leben, bleibt die Frage, ob er wahrhaft Gott sucht, ein Leben lang gültig und entscheidend. In diesem Sinne bleiben wir Anfänger ein Leben lang. Weiterlesen

Dieses Ich, das Wahrste meines Ichs, das Ich vor mir und das Ich über mir: Unruhe. Als Gott über meinen Erdenstand blies,um in ihn meine Seele einzupflanzen, muss er wohl zu heftig geblasen haben. Ich habe mich nie erholt von diesem Anhauch Gottes. Ich habe nie aufgehört, wie eine Kerze zu zittern,wie eine flackernde Kerze zwischen zwei Welten. Und doch …

(Marie Noël)

Das dritte O des 58. Kapitels der Benediktusregel fragt den Mönch, ob er Eifer hat für die „obprobria“. Der neue Regel-Text übersetzt das Wort mit „Widerwärtigkeiten“, während in alten Übersetzungen von „Verdemütigungen“ die Rede war. Wie immer man dieses in jedem Fall unbequeme Wort übersetzen mag, es geht um die Erfahrung, dass es in einem konsequent gelebten christlichen Leben manchmal hart und rauh zugehen kann. Der hl. Benedikt betont eigens: „Im voraus sage man ihm [dem Neuankommenden), wie rauh und schwierig der Weg ist, der zu Gott führt“(Benediktusregel Kap. 58,8). Diese Erfahrung trifft jeden von uns. Es kann sein, dass uns über lange Strecken unseres Lebensweges Gegen-wind ins Gesicht bläst. Wir geraten in die Feuerprobe, wie es in Psalm 66 heißt: „Gott, du hast uns geprüft und uns im Feuer geläutert, wie man Silber im Feuer läutert“. Solche Zeiten der Krise, in denen wir bisweilen an der Richtigkeit und Sinnhaftigkeit unserer Lebensentscheidungen zweifeln, sind oft nur schwer zu bestehen. Weiterlesen

„Eins nur erbitte ich vom Herrn, danach verlangt mich:
im Hause des Herrn zu wohnen alle Tage meines Lebens,
zu schauen die Freundlichkeit des Herrn
und nachzusinnen in seinem Tempel.“ (Ps 26/27)

Schon früh hat man zwischen der Taufe und der Profess auffallende Übereinstimmungen festgestellt. Die Profess wurde sogar oft als zweite Taufe dargestellt. Der Glaube, so sagte einst Tertullian, vollendet sich in der Taufe, dem „sacramentum fidei“. Durch die Taufe wird der Glaube in Worten und Gebärden gefeiert und erhält so seine Gestalt. Dies gilt in ähnlicher Weise auch für das monastische Leben. Was die Taufe für den Glauben, das ist die Profess für dieses innere Ja-Wort. Auch im Ritus gibt es Übereinstimmungen. Die Taufhandlung ist begleitet von Tauffragen und Antworten. Auch die Profess kennt begleitende Fragen und Antworten, und man könnte vielleicht auch eine Parallele sehen zwischen dem Taufkleid und dem Mönchsgewand, der Kukulle, die bei der Profess überreicht wird. Weiterlesen

Wortgottesdienst

 

Introitus / Eingangsgesang der Hl. Messe

Der Pontifex lädt die Profitentin ein:

Veni, filia, audi me, timorem Domini docebo te.

Komm, Tochter, höre mich, die Furcht des Herrn will ich dich lehren. (Ps 34,12)

Die Profitentin entzündet ihre Taufkerze und antwortet:

Et nunc sequor in toto corde : te timeo, et quaero faciem tuam videre. Domine ne confundas me : sed fac mihi juxta mansuetudinem tuam, et secundum multitudinem misericordiae tuae.

Nun folge ich dir aus ganzem Herzen. Ich fürchte dich und suche dein Antlitz zu schauen. Herr, verlass mich nicht, sondern handle an mir nach deiner Güte und nach deinem großen Erbarmen. (Dan 3,41f.)

Gloria

Erste Lesung

Graduale /Antwortgesang

Zweite Lesung

Alleluia

Evangelium

Homilie

 

Feierliche Profess und Monastische Weihe

Äbtissin:
Schwester N.N., durch die Taufe sind Sie der Sünde gestorben und dem Herrn geweiht. Wollen Sie sich durch die Monastische Profess noch enger an ihn binden und sich von ihm in seinen besonderen Dienst nehmen lassen?

Profitentin: Ja, ich will es.

Hymnus

hymnus

Komm, Heilger Geist, der Leben schafft: erfülle uns mit deiner Kraft;
dein Schöpferwort rief uns zum Sein: nun hauch uns Gottes Odem ein.
Qui Paráclitus díceris,
donum Dei altíssimi,
fons vivus, ignis, cáritas
et spiritális únctio.

Komm, Tröster, der die Herzen lenkt, du Beistand, den der Vater schenkt;
aus dir strömt Leben, Licht und Glut, du gibst uns Schwachen Kraft und Mut.

Tu septifórmis múnere,
dextrae Dei tu dígitus,
Tu rite promíssum Patris
sermóne ditans gúttura.

Dich sendet Gottes Allmacht aus im Feuer und in Sturmes Braus;
du öffnest uns den stummen Mund und machst der Welt die Wahrheit kund.

Accénde lumen sénsibus,
infúnde amórem córdibus,
infírma nostri córporis
virtúte firmans pérpeti.

Entflamme Sinne und Gemüt, dass Liebe unser Herz durchglüht
und unser schwaches Fleisch und Blut in deiner Kraft das Gute tut.

Hostem repéllas lóngius
pacémque dones prótinus:
ductóre sic te prævio
vitémus omne nóxium.

Die Macht des Bösen banne weit, schenk deinen Frieden allezeit.
Erhalte uns auf rechter Bahn, dass Unheil uns nicht schaden kann.

Per te sciámus da, Patrem,
noscámus atque Fílium,
te utriúsque Spíritum
credámus omni témpore. Amen.

Lass gläubig uns den Vater sehn, sein Ebenbild, den Sohn, verstehn
und dir vertraun, der uns durchdringt und uns das Leben Gottes bringt. Amen.

 

Äbtissin:
Schwester N.N., Sie stehen vor Gott und seinen Heiligen. In Gegenwart der hier versammelten Schwestern frage ich Sie: Wollen Sie in diesem Kloster der hl. Hildegard zu Eibingen beständig ausharren und unserer Gemeinschaft die Treue halten in guten und in bösen Tagen?

Profitentin: Ja, ich will es.

Äbtissin:
Wollen Sie unter der Führung des Evangeliums wahrhaft Gott suchen, sich um die tägliche Umkehr bemühen und ein Leben führen nach der Regel unseren hl. Vaters Benediktus?

Profitentin: Ja, ich will es.

Äbtissin:
Wollen Sie Christus nichts vorziehen und Gehorsam geloben?

Profitentin: Ja, ich will es.

Äbtissin:
Gott, der sein gutes Werk in Ihnen begonnen hat, möge es auch vollenden.

Alle: Amen.
Pontifex:
Liebe Schwestern und Brüder:
Gott hat diese unsere Schwester dazu berufen, im monastischen Leben Christus nachzufolgen. Lasst uns den allmächtigen Vater bitten, er möge seine Gnade über sie ausgießen und ihr helfen, das zu verwirklichen, was sie heute gelobt.

 

Allerheiligenlitanei

Der Diakon singt: Beuget die Knie!

herrErbarme

V. Gott Sohn, Erlöser der Welt
Gott Heiliger Geist
Heiliger dreifaltiger Gott

heiligeMutter

V. Heilige Jungfrau über allen Jungfrauen
Heiliger Michael
Heiliger Gabriel
Heiliger Raphael
Ihr heiligen Engel Gottes
Heiliger Abraham
Heiliger Mose
Heiliger Elija
Heiliger Johannes der Täufer
Heiliger Josef
Heiliger Petrus und heiliger Paulus
Heiliger Andreas
Heiliger Johannes
Heilige Maria Magdalena
Heiliger Stephanus
Heiliger Ignatius von Antiochien
Heiliger Laurentius
Heilige Perpetua und heilige Felizitas
Heilige Agnes
Heilige Katharina von Alexandrien
Heilige Margareta
Heilige Caecilia
Heiliger Gregor
Heiliger Ambrosius
Heiliger Augustinus
Heiliger Hieronymus
Heiliger Athanasius
Heiliger Basilius und heiliger Gregor
Heiliger Martin
Heiliger Liborius
Heiliger Vater Benediktus
Heiliger Bernhard
Heiliger Franziskus
Heiliger Dominikus
Heiliger Georg
Heiliger Franz Xaver
Heiliger Johannes vom Kreuz
Heilige Scholastica
Heilige Lioba
Heilige Hildegard
Heilige Gertrud
Heilige Theresia
Alle Heiligen Gottes

jesus_gnaedig

Von allem Bösen
Von aller Sünde
Vom ewigen Tode
Durch deine Menschwerdung und dein heiliges Leben
Durch dein Leiden und Sterben
Durch deine Auferstehung und Himmelfahrt
Durch die Sendung des Heiligen Geistes

suender

Erfülle unseren Papst Franziskus und alle Bischöfe mit der Kraft des
Heiligen Geistes
Erneuere deine Kirche im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe
Führe alle Menschen zur Fülle des christlichen Lebens
Stärke in allen Klöstern und Orden die Liebe zu Christus / und erhalte sie
in der Treue zum Geist ihrer Gründer
Schenke den Völkern der Erde Frieden und Freiheit
Erweise allen, die in Bedrängnis sind, dein Erbarmen
Stärke und erhalte uns alle in deinem Dienste
Segne die Eltern und Angehörigen unserer Schwester und schenke ihnen
deine Gaben in reicher Fülle
Lass unsere Schwester Christus immer ähnlicher werden
Schenke unserer Schwester die Kraft zur Treue in der Nachfolge deines
Sohnes
Segne, heilige und weihe unsere Schwester
Jesus, du Sohn des lebendigen Gottes

christus_hoere

Oration:

Herr, unser Gott, erhöre das Gebet deines Volkes. Mache durch deine Gnade das Herz unserer Schwester bereit und öffne es für das Wirken des Hl. Geistes. Er reinige sie von aller Schuld und erfülle sie mit lebendiger Liebe. Darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn.
Alle: Amen.

Der Diakon singt: Erhebet euch.
Die Profitentin liest die Professurkunde vor. Anschließend unterschreibt sie die Urkunde, zeigt sie der Äbtissin und dem Pontifex, legt sie auf den Altar und küsst diesen zum Ausdruck ihrer Hingabe an Christus.

Die Profitentin singt den monastischen Professgesang:
Suscipe me, Domine, secundum eloquium tuum, et vivam; et non confundas me ab exspectatione mea. (Nimm mich auf, o Herr, wie du verheißen hast, und ich werde leben. Lass mein Vertrauen nicht zuschanden werden Psalm 119,116)

Weihegebet

Pontifex:
Wir preisen dich, Herr, heiliger Vater, allmächtiger ewiger Gott.
In Christus Jesus hast du uns erwählt vor der Erschaffung der Welt, damit wir heilig leben vor dir und deine Söhne und Töchter werden in deinem geliebten Sohn, zum Lob deiner herrlichen Gnade. Zu jeder Zeit hast du Menschen berufen, dir zu dienen im Gehorsam des Glaubens und vollkommen zu sein wie du vollkommen bist. So hast du Abraham gerufen und ihm geboten, das Haus seines Vaters zu verlassen und in das Land zu ziehen, das du ihm zeigen wolltest. Du hast dich Mose geoffenbart und ihm aufgetragen, dein Volk durch die Wüste zu führen. Auf dem Berg Horeb hast du zum Propheten Elija gesprochen und ihn erfüllt mit brennendem Eifer für deinen heiligen Namen. Unter den von Frauen Geborenen hast du Johannes den Täufer auserwählt und ihn zum Zeugen deines Lichtes gemacht.
In der Fülle der Zeit aber hast du deinen eigenen Sohn gesandt, Jesus Christus, geboren von der Jungfrau Maria. Du hast ihn gesandt, damit er uns den Weg weise zu dir. Er bestimmte zwölf Apostel und rief Männer und Frauen in seine Nachfolge. Sie sollten mit ihm leben und Zeugen seines Todes und seiner Auferstehung sein.
Am Pfingsttag hast du in seinem Namen den Heiligen Geist über sie ausgegossen. Der jungen Gemeinde, die sich in Freude versammelte, hast du zahlreiche Gläubige hinzugefügt. Sie alle waren ein Herz und eine Seele in der Treue brüderlicher und schwesterlicher Gemeinschaft. Seitdem hörst du nicht auf, deine Kirche auf ihrem Weg mit vielfältigen Gnadengaben zu stärken. Als eine dieser Gnadengaben hast du zahllosen Söhnen und Töchtern die Berufung zum monastischen Leben geschenkt.
Herr, schau voll Güte auf unsere Schwester. Heilige sie, segne sie, bewahre sie immer. Gib ihr die Frucht des Geistes: Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstbe-herrschung. Dein Geist bestimme ihr Leben, dein Geist lasse sie handeln, dein Geist bewahre sie in seiner Liebe.
Darum bitten wir durch Jesus Christus, deinen Sohn, unseren Herrn und Gott, der in der Einheit des Heiligen Geistes mit dir lebt und herrscht in alle Ewigkeit.

Alle: Amen.
Bei der Übergabe der Kukulle:

Empfangen Sie das Gewand des heiligen Vaters Benediktus. Tragen Sie es in Treue zu Ihren Gelübden, damit Sie zur ewigen Gemeinschaft gelangen mit Gott und seinen Heiligen.

Neuprofesse: Amen.
Bei der Übergabe des Schleiers:

Tragen Sie den Schleier als Zeichen, dass Sie nicht mehr sich selbst gehören, sondern Christus, und mit ihm verborgen sind in Gott.

Neuprofesse: Amen.

 

Der Chor singt dazu die Antiphon:
Regnum mundi et omnem ornatum saeculi contempsi propter amorem Domini mei Jesu Christi, quem vidi, quem amavi, in quem credidi, quem dilexi. Eructavit cor meum verbum bonum, dico ego opera mea Regi.

Das Reich der Welt und all seine Pracht habe ich verlassen aus Liebe zu meinem Herrn Jesus Christus. Ihn habe ich gesehen, ihm bin ich verbunden, an ihn habe ich geglaubt und ihn allein geliebt. Mein Herz strömt über von guter Kunde, ich weihe mein Tun dem König.

 

Der Pontifex steckt der Neuprofesse den Ring an mit den Worten:

Tragen Sie den Ring, das Siegel des Heiligen Geistes, als Zeichen Ihrer Bindung an Christus. Bleiben Sie dem Herrn in Treue verbunden.

Neuprofesse: Amen.

 

Der Pontifex übergibt das Stundenbuch mit den Worten:

Empfangen Sie das Stundenbuch der Kirche. Ziehen Sie dem Gottesdienst nichts vor, und bringen Sie zusammen mit Ihren Schwestern Gott, dem Schöpfer, den Lobpreis dar. Was Sie mit dem Mund singen, sollen Sie im Herzen glauben, und was Sie im Herzen glauben, im Leben erfüllen.

Neuprofesse: Amen.

 

Die Neuprofesse singt zum Abschluss der Professhandlung:

Ecce quod concupivi, jam video : quod speravi, jam teneo : illi sum juncta in caelis, quem in terris posita, tota devotione dilexi.

Seht, was ich begehrte, schon sehe ich es; was ich erhoffte, schon halte ich es: Ihm bin ich im Himmel verbunden, den ich auf Erden mit ganzer Hingabe liebe.

 

Die Eucharistiefeier wird nun in der bekannten Reihenfolge fortgesetzt:

Credo /Glaubensbekenntnis

Offertorium (Gabenbereitung)

Sanctus

Agnus Dei

Communio (gesang zur Kommunion)

Schlusssegen

Gott, unser Vater, der dich zum monastischen Leben berufen hat, schenke dir seine Gnade und seinen Segen.
Alle: Amen.

Dein Beten und Arbeiten diene der heiligen Kirche. Dein Leben werde zu einem Zeichen der göttlichen Liebe.
Alle: Amen.

Und Christus, dem du auf Erden dein Leben geweiht hast, sei am Ende deine ewige Erfüllung.
Alle: Amen.

Und euch alle, die ihr zu dieser Feier versammelt sein, segne der dreieinige Gott: + der Vater und der Sohn und der Heilige Geist.
Alle: Amen.

Schlusslied

Großer Gott, wir loben dich, Herr, wir preisen deine Stärke.
Vor dir neigt die Erde sich und bewundert deine Werke.
Wie du warst vor aller Zeit, so bleibst du in Ewigkeit.

Alles, was dich preisen kann, Cherubim und Seraphinen
stimmen dir ein Loblied an, alle Engel, die dir dienen,
rufen dir stets ohne Ruh’: Heilig, heilig, heilig! zu.

Alle Tage wollen wir dich und deinen Namen preisen
und zu allen Zeiten dir Ehre, Lob und Dank erweisen.
Rett’ aus Sünden, rett’ aus Tod, sei uns gnädig, Herre Gott.

Herr, erbarm, erbarme dich. Lass uns deine Güte schauen;

deine Treue zeige sich, wie wir fest auf dich vertrauen.
Auf dich hoffen wir allein; lass uns nicht verloren sein.

Prozession der Schwestern in den Kapitelsaal

Die geistliche Schriftlesung (Lectio divina) gehört für Benediktinerinnen und Benediktiner zum täglichen geistlichen Brot – sie kann aber auch für jeden Christen zu einem wichtigen Bestandteil seines Lebens werden. deshalb möchten wir Ihnen zum Jahr der Bibel die Grundzüge und Grundvollzüge der Lectio divina nahe bringen.

Denke ich an die Regel des hl.Benedikt, so zeigt sich in der Fülle der darin zitierten Schriftworte, wie sich der Umgang mit der Hl. Schrift im Alltag des Lebens des hl.Benedikt konkretisierte. Welch hohen Stellenwert die Lectio für Benedikt hatte, können wir uns schon durch die Wortkonkordanz verdeutlichen: Lectio (39x); legere (26x) lector (2x) / meditatio (nur 1x) meditari (nur 2x) / oratio (21x) / orare (10x) / oratorium (23 x).

Auch bezeugen uns die Regeltexte selbst schon, wie sehr Benedikt die Lesung schätzte. Seine Belesenheit in der Väterliteratur ist erstaunlich. Würde man sich nur auf die Zitate der Benediktsregel beschränken, käme schon eine ganze Väterbibliothek zustande: Cyprian, Hilarius, Ambrosius, Augustinus, Hieronymus, Leo d. Gr. Palladius, Kassian, Cassiodor, Sulplicius Severus, Vitae Patrum, und selbstverständlich alle im Abendland damals bekannten Mönchsregeln: 1. Und 2. Regula Patrum, Regel des Pachomius, des Basilius, des Caesarius, die Magisterregel, sodann Martyrerakten und Konzilsakten. Klassisch Gebildete behaupten zudem, daß z. B. auch Anklänge an Vergil hörbar sind. Man darf wohl davon ausgehen, daß Benedikt die angeführten Quellen auch per ordinem ex integro gelesen hat. Lectio divina – heilige, göttliche Lesung gehört für ihn zum christlichen, monastischen Leben im Sinn des hl. Hieronymus, der einst schrieb: „Qui nescit scripturas, nescit Dei virtutem eiusque sapientiam; ignorantio scripturarum ignorantio Christi est.“ – Wer die Schrift nicht kennt, kennt nicht die Tugend und Weisheit Gottes; Unkenntnis der Schriften ist Unkenntnis Christi.“

Seit einigen Jahren mehrt sich aber auch bei vielen Menschen unserer Zeit wieder neu das Interesse an der Hl. Schrift, um die „Tugend und Weisheit Gottes“ neu zu erfahren. Immer wird berichtet von Vorträgen, Arbeitsgruppen und Seminaren innerhalb von Pfarrgemeinden über verschiedene Themen der Hl. Schrift. Nicht umsonst ermahnte unser Limburger Bischof Kamphaus 1999 in seinem Fastenhirtenbrief alle mit folgenden Worten:

„In meiner münsterländischen Heimat trinken die meisten Menschen Bier. Deswegen sind mir die ersten Weinproben im Rheingau in besonderer Erinnerung geblieben. Ich mußte lernen, daß man Wein nicht wie Bier trinkt. Man schluckt ihn nicht schnell herunter, sondern läßt ihn langsam über die Zunge laufen. Kenner (und Könner) schlürfen den Wein und durchmengen ihn dabei mit Luft. Aufmerksam registrieren sie seine Geschmacksentfaltung beim Schlucken. Wein braucht Zeit, um sein ganzes Aroma zu entfalten. Der Blick aufs Etikett löscht nicht den Durst. Ähnlich ist es mit der Bibel. Ein junger Mann sucht zum ersten Mal einen Rabbi auf. Der fragt ihn, was er denn bisher getan habe. Seine Antwort: „Ich bin dreimal durch den ganzen Talmud gegangen.“ „Gut“, sagt der Rabbi. „Aber wieviel vom Talmud ist durch dich gegangen?“ Das ist die Frage. Wer die Bibel nur liest wie ein Buch oder ein Etikett, der erhält einige Informationen, aber er verfehlt den unmittelbaren Kontakt. Ihre Wahrheit kann sich nur im eigenen Leben entfalten, in Verbindung zur eigenen Existenz. „Nicht das Vielwissen sättigt die Seele, sondern das Verspüren und Verkosten der Dinge von Innen her.“ (Ignatius von Loyola) Es braucht Zeit, es braucht Übung und eine erfahrene Anleitung, um die Bibel als Buch des Lebens zu erleben.“ (Bischof Franz Kamphaus, Limburger Sonntag Nr. 12, 21. März 1999)

Wenn wir uns im begonnenen Kirchenjahr nochmals intensiver mit der Lectio, im Spezifischen der Lectio divina befassen, dann gehen wir von der Voraussetzung aus, dass das Buch, das Lesen uns neu zum eigenen Denken, zum eigenen Urteilen, d. h. zur Freiheit und Verantwortung helfen kann. Ein Buch – und ganz sicher das geschriebene Wort Gottes – kann uns neu auf diesen Weg führen, will uns Orientierung geben, kann uns zum „Lehrer des Lebens“ (Bischof Lettmann) werden. Nicht die vielen Worte belehren uns. Nur in einziges Wort kann zum Wort des Lebens werden, wenn es uns in die Dimension des Glaubens hineinführt, wenn Gott durch es spricht, wenn es uns Heil und Heilung vermittelt.

Bevor wir in diese Dimensionen tiefer einsteigen, sollten wir uns noch mal neu vergegenwärtigen, was eigentlich geschieht, wenn wir lesen. Auf den ersten Blick könnte man meinen, das Lesen sei doch eine Selbstverständlichkeit. Zu Beginn möchte ich aber darauf aufmerksam gemacht, dass es grundsätzlich mehrere Leseformen gibt. Ein fachwissenschaftliches Buch lesen wir anders als einen Roman, eine Zeitung, einen Brief oder den Beipackzettel eines Medikaments. Was alle diese verschiedenen Leseformen gemein haben: Lesen hat werkzeugartigen Charakter. Zunächst erkennen wir Schriftzeichen, die wir in einem bestimmten Zusammenhang aufnehmen. Allein daran erkennt man schon, wie vielschichtig der Lesevorgang ist, denn es ist wohl nicht einfach selbstverständlich, dass wir das Gelesene im gleichen Kontext aufnehmen. Das lesende Subjekt ist am Inhalt nicht unbeteiligt. Gleichzeitig begegnet das lesende Subjekt im Text einem schreibenden Subjekt. Beide: Autor und Leser stehen jeweils in einem seelischen, sozialen oder eben auch religiösen Umfeld. Lesen ist eine Form der Kommunikation, der Begegnung. Diese Begegnung zwischen Schreiber und Leser steht zudem noch in einem speziellen Umfeld, nämlich im unmittelbaren Umfeld des Lesens. Daraus entsteht noch weiterer Kontakt, Beziehung, eine Komplexität von Querverbindungen. Wichtig ist , sich immer bewusst zumachen, dass an jedem Lesevorgang immer drei Dimensionen beteiligt sind: Autor, Text und Leser.

Befassen wir uns also jetzt mit Lectio divina, so müssen wir uns als ersten Schritt vergegenwärtigen, dass auch daran mehrere Dimensionen beteiligt sind: der Autor, bzw. die Autoren im Kontext ihrer Zeit, der überlieferte Text und wir als Menschen des begonnenen 2. Jahrtausends. Ich möchte Sie jetzt noch an einen Weg eines Mönches aus dem ersten christlichen Jahrhundert erinnern, wie er uns vom Karthäuser Guigo II. (+ ca. 1188) in der „Scala claustralium“ systematisiert überliefert wurde.
Die Mönche aller Zeiten kannten die Methode der Lectio divina, der geistlichen / göttlichen Lesung, die in unseren Tagen wieder neu auch außerhalb des Mönchtums entdeckt wird. (vgl. Enzo Bianchi, Dich finden in deinem Wort). Sie ist ein probates Mittel, sich dem Kern des Wortes Gottes zu nähern. Ich meine, dass das auch ein Weg sein kann, sich die Psalmen und andere Texte des Stundengebetes neu zu erobern. Dieser Weg kann uns für das Offizium, die Lectio und Oratio (Gebet) wieder neue Türen öffnen, wenn wir alles im Sinn der Lectio divina lesen und ins Herz aufnehmen. Aus eigener Erfahrung weiß ich auch, wie gut es mir gelegentlich tut, das Stundengebet, z.B. auf Reisen, allein zu beten. Beide Formen: der gemeinsame und der einsame Vollzug hat seine Licht- und seine Schattenseiten. In vier Schritten vollzieht sich ein solcher Prozess, vier Stufen, die uns hinführen sollen zu Gott, zur Gotteserfahrung, letztlich zur Anschauung Gottes:

1. Lectio

In der Antike und um Mittelalter wurde noch eine Lesetechnik praktiziert, die ganz im Kontrast zu unserer heutigen steht: Man las in der Stille der Klosterzelle in einem ganz anderen praktischen Kontext, nicht wie heute hauptsächlich mit den Augen, sondern mit den Lippen, in dem man das, was man sah, vor sich hinsagte, halblaut sprach, und mit den Ohren dem gesprochenen Wort zuhörte. Man pflegte also das akustische Lesen. ‚legere‘, lesen, bedeutete gleichzeitig ‚audire‘, hören. Da fallen dann Formulierungen wie: „in lectione audio“. Durch die akustische Lektüre werden im Menschen alle Sinne geweckt. Augen, Mund und Gehör werden in Aktion gesetzt. Lesen wird dann wie z.B. auch das Singen eine Aktion des ganzen Leibes, der den Geist ergreift und in Anspruch nimmt. Diese Technik entspricht dem Ursprung und dem Wesen des Wortes: Es wird von einer Person entsendet, an eine andere gerichtet und von ihr im Hören aufgenommen. Durch das akustische Lesen wird das geschriebene Wort lebendig und wieder neu zu einer Art dialogischen Geschehens. Hören ist ja in sich ein dialogisches Geschehen. Das gesprochene oder geschriebene Wort wird entsendet, entbindet dann unser Hören, macht uns zu Hörern des Wortes. Im Wort der Hl. Schrift spricht Gott selbst zu uns und macht uns dadurch zu Gott- zu – Gehörigen. Gott sandte sein Wort und sendet es heute noch jeweils in eine ganz konkrete geschichtliche Situation. Die Hl. Schrift ist der bevorzugte Ort der Begegnung mit Gott. Dem liegt eine tiefe Glaubensüberzeugung zugrunde, auf die hin auch wir uns prüfen müssten.

Die Entbindung durch das Wort setzt aber nicht voraus, dass wir als Hörende das Wort automatisch verstehen. Der Hörende muss Ohr und Herz für das Wort öffnen. Deshalb ist die Lesung mit einem eifrigen Studium verbunden, erfordert von uns gespannte Aufmerksamkeit und Wachsamkeit der Seele. Wir müssen langsam und genau lesen. Wir dürfen uns nicht von Neugier treiben lassen und die Worte oberflächlich überfliegen. Sondern wir müssen mit Sorgfalt den Buchstaben beachten, den Text, wie er in seiner sprachlichen Gestalt vorliegt, von der Grammatik und vom Textsinn her zu erfassen suchen. Das feste Geländer des Textes bewahrt uns vor Träumereien und Schwärmereien, vor leerem Sentimentalismus, der keine Grundlage in der biblischen Botschaft hat. Wir lassen uns nicht leiten von eigenen Gedanken und eigener Phantasie, sondern von der objektiven Offenbarung, die in Schrift und Tradition festgelegt ist.

2. Meditatio

Der Lectio folgt als zweite Stufe die Meditatio. (Beatus vir, qui in lege eius meditatur die ac nocte „Ps 1, 2). Meditatio ist die innere Fortsetzung der Lectio. Was heißt „meditari“ ? Im Wörterbuch kann man sehr hilfreich nachlesen: „für etwas sorgen, eifriges, sorgfältiges Betreiben einer Sache, die durch Übung einer Sache herbeigeführte Gewöhnung an etwas.“ Konkretisierend heißt das: Meditation vertieft und verarbeitet den Text. ‚Meditari‘ heißt, einen Text lesen und lernen, mit Leib, Verstand und Seele erfassen, ihn im Gedächtnis behalten und mit ganzem Willen in die Tat umsetzen. In der Meditatio kommt also auch die Tätigkeit des eigenen Willens und des Intellekts in Gang. In der Literatur kommen Worte wie considerare (erinnern), cogitare (erkennen), inquirere (suchen) und meditari (meditieren) im Zusammenklang vor. Das Wort der Schrift muss reflektierend durchdrungen werden. Was dann entdeckt werden kann, ist zunächst die natürliche Gotteserkenntnis. Die innere Erfahrung des persönlichen Gottes selbst ist ein Geschenk von oben, für das wir uns nur bereiten können. Eine Art der Übung ist in diesem Zusammenhang noch ganz wichtig: die ‚ruminatio‘ – das ständige, halblaute Vor-Sich-Hersagen, das Murmeln von Versen und Texten der Hl. Schrift. ‚Ruminatio‘ heißt: das Wiederkäuen. Das Wort Gottes ist die tägliche Nahrung, die immer wieder ‚durchgekaut‘ werden musste, um Geschmack daran zu finden. Auch schwer verdauliche Kost kann auf diese Weise stärkende Nahrung werden, die den Hunger nach Gott zu stillen vermag. Dies, so meine ich, ist besonders für uns alle auch eine wichtige Realität unseres täglich gesungenen Stundengebetes. Sinn und Zweck dieser Übung ist, auf diesem Weg diese Texte auswendig zu lernen und sich einzuprägen. Hier ist entscheidend das Gedächtnis gefordert. In der frühen Kirche wusste man noch um die Notwendigkeit und den Nutzwert des Auswendiglernens. Das war nicht bloß eine Sache der Kostenersparnis – ein Buch kostete in damaliger Zeit oft mehreren tausend Schafen das Leben. Vielmesste man: was man auswendig kennt, kennt man auch inwendig. Die englische und französische Sprache hat das bis heute bewahrt – learning by heart – par coeur. Das äußere Sich-erobern bewirkt, dass irgendwann das Herz mitschwingt. Das können wir sicher von uns allen nach langen Jahren gelebten Stundengebetes auch aus Erfahrung sagen… Im Tun, im täglichen Sich-üben, wird das Herz näher zum Herrn geführt. Dann werden immer mehr Psalmen persönliche Worte des Glaubens, eigene Worte der Liebe, der Hinwendung zu Christus und zum Vater – in allen Nöten und Wechselfällen des Lebens, in Höhen und Tiefen, in Licht und Schatten. Wenn man sich ein Text so tief eingeprägt hat, entwickelt sich daraus das ganz wichtige Phänomen der Wiedererinnerung. Die Ruminatio bewirkt, dass wir uns spontan und ohne jede Anstrengung an Zitate und Anspielungen erinnern, einzig durch die Ähnlichkeit der Worte. Jedes Wort ist gleichsam ein Haken für eine Fülle von Textverknüpfungen. Ein Text führt uns in ein ganzes Gewebe von Texten und Assoziationen unter der Führung des gelesenen Textes. D.h.: sich erinnern, inne werden. Solches Meditieren setzt selbstverständlich eine theologische Grundhaltung der Kirchenväter und monastischen Tradition voraus: die Einheit der ganzen Schrift. AT und NT bilden eine Einheit, deren Mitte Christus ist. Man versuchte, die Schrift durch die Schrift selbst zu interpretieren. Jedes Wort der Schrift lässt sich nur im Licht der ganzen Schrift erkennen. Deswegen lohnt es sich auch immer wieder, im Stundengebet die Überschrift jedes einzelnen Psalms – ein Zitat des NT und eine Interpretation eines Kirchenvaters mit ins Herz zu nehmen.
Noch ein letzter, nicht unwesentlicher Aspekt des ‚meditari‘ las ich einmal in einem sehr interessanten Buch von Peter Müller, Verstehst du auch, was du liest? Meditari meint ganz wesentlich: sich einüben, trainieren wie im Sport. Z.B. taucht es im Sprachschatz des antiken Militärs auf: die Einübung der Rekruten im Umgang mit den Waffen, ferner in der Rhetorik, in der Musik und in der Poesie. Hier meint ‚meditari‘ das Einstudieren einer Rede, eines Musikstückes oder eines Gedichtes. Die Meditation fordert von uns demnach Mühe, Einsatz der Willenskraft und Ausdauer. Erst dieser Prozess weckt in uns die Sehnsucht nach Gott, das Verlangen, ihn tiefer zu erkennen und zu erfahren. Je mehr die Meditation geübt wird, um so mehr wächst die Sehnsucht, um so stärker dürsten wir nach Gott. Die Sehnsucht wird auf dieser Stufe des Aufstiegs zu Gott aber noch nicht gestillt, sie weist über sich hinaus zur ‚Oratio‘, zum eigentlichen Gebet.

3. Oratio

Oratio ist nun der Augenblick, wo wir unser Verlangen nach spürbarer und erfahrbarer Begegnung mit Gott vor Gott aus dem Herzen heraus ins Wort bringt. Es geht von daher um eine bestimmte Weise des Bittgebetes. ‚Oratio‘ steht im Zusammenhang mit ‚postulatio‘. Inhalt der Bitte ist die Sehnsucht nach Gott, das ‚desiderium‘ . Jede von uns, die betet, die auf der Stufe der Oratio angelangt ist, ist als ganze Person von der Sehnsucht nach Gott ergriffen. Gebet ist dann nicht mehr Tätigsein, sondern ganz Verlangen-Sein, erfüllt sein von Sehnsucht. Wir möchten das Gelesene und Erkannte selbst erfahren und bitten Gott darum. Erst an diesem Punkt wächst die Lesung langsam zu einer persönlichen Begegnung mit Gott hin. Die ‚Schau Gottes‘ – danach richten wir uns aus. Wir können sie aber nicht selbst ins Werk setzen. Sie kann nur von Gott geschenkt werden. Allerdings wird die Begegnung mit Gott auch nicht an der Freiheit jedes Menschen vorbeigehen. Gott und Mensch wirken zusammen. Wir zeigen Offenheit und Bereitschaft, die Gnade zu empfangen, wenn wir Gott im Bittgebet anrufen. Ja, eigentlich ist die Oratio Antwort auf die Anrede Gottes. In der Tradition der Väter und des Mönchtums wird diese Antwort mit Worten Gottes gegeben. All dieses Tun zielt hin auf den letzten Schritt: contemplatio.

4. Contemplatio

Wir erfahren nun, dass der Herr unser Bittgebet erhört und uns entgegeneilt. Gott gewährt uns als freies Geschenk, dass seine Nähe spürbar, erlebbar wird. Im Gebet können wir uns nur auf den Empfang dieser Gnade vorbereiten. Unser Einsatz und unsere Anstrengung sind gefragt. Wir müssen tun, was in unseren Kräften steht. Aber das Ergriffenwerden vom ‚effectus contemplationis‘, einer starken Gemütsbewegung, ist nicht machbar. Es ‚überfällt‘ uns. Urplötzlich wissen wir uns von der Gegenwart des Herrn ergriffen und in uns wird ein tiefes Verlangen nach der Anschauung Gottes geweckt. All das entzieht sich einer rationalen Darlegung. Über Kontemplation kann der Mensch nur in Bildern und Vergleichen sprechen (z.B. dulcedo, Süßigkeit – als Ausdruck der Liebe Gottes, seiner Güte, Milde und Freundlichkeit „Kostet und seht, wie gut der Herr ist. (Ps 33, 9); oder: sobria ebrietas – nüchterne Trunkenheit; oder: biblische Bilder – Braut und Bräutigam, Contemplatio als Taborerlebnis; oder: Jakobskampf) Contemplatio ist letztlich ein Vorgeschmack des Himmels, steht also in einem eschatologischen Kontext. Der volle Genuss steht immer noch aus. In diesem Leben ist nur das kurze Verweilen auf der Stufe der contemplatio gegeben

Zusammenfassend sei gesagt: Gehen wir in der Lectio divina täglich neu auf den Herrn zu, so werden wir erfahren: Jedes Wort ist uns „ein Anruf Gottes um unseres Heiles willen“ (J.Leclercq, Wissenschaft und Gottverlangen), führt uns näher zur Mitte des Glaubens hin, zu Christus, dann sind wir ganz persönlich angesprochen und gefordert, mit Leib und Seele, mit Gedächtnis, Verstand und Willen.

Praktische Schritte zur Lectio divina:

1. Lesen wir den Text laut und langsam.
2. Schreiben wir den Text einmal ab, vielleicht auch mit einer graphischen Gestaltung.
3. Wiederholen wir den Text mehrmals im Sinn der „Ruminatio“, leise in sich hinein „murmelnd“.
4. Hören wir uns selbst beim Sprechen zu.
5. Folgen wir genau dem Wortlaut des Textes.
6. Achten wir auf Wortwiederholungen, inhaltliche Wiederholungen und auf „Brüche“ im Text.
7. Versuchen wir den Text in seiner Struktur zu verstehen.
8. Wie können wir den Textsinn zusammenfassen?
9. Assoziieren wir den Wortlaut mit anderen biblischen oder auch außerbiblischen Texten.
10. Verbinden wir den Text mit Zeitereignissen und eigenen Erfahrungen im Rahmen Ihrer Möglichkeiten.
11. Gibt es Fragen, die uns der Text stellt?
12. Bringen wir unsere Gedanken, unsere Fragen, unsere Bitten vor Gott!
13. Versuchen wir, Gott Antwort zu geben.
14. Vergessen wir nicht, Gott für sein Wort zu danken.

 

 Ein persönlicher Weg zum Kennen- und Lebenlernen der Regula Benedicti

Im Folgenden berichte ich hier von einem persönlichen Weg berichten, der für mein geistliches Leben prägend geworden ist. Ich tue es gern, denn ich wünsche mir nichts so sehr, als dass möglichst viele Geschmack an diesem Weg finden, ihn als Möglichkeit entdecken, die Benediktsregel kennen-, lieben- und leben-zu lernen. Es ist der Weg eines Tagebuches mit der Benediktsregel. Ich gehe diesen Weg nunmehr seit fast 20 Jahren und immer noch entdecke ich Neues und Überraschendes auf diesem Weg.

Bevor ich von diesem meinem Weg erzähle und die einzelnen Schritte ganz praktisch beschreibe, komme ich nicht umhin, ein paar grundlegende Gedanken vorzutragen. Ich möchte dies in drei Schritten tun:

A: GRUNDLEGUNG

  • „Höre und erfülle“

Die Kenntnis der Benediktsregel gehört für uns, die wir in der Nachfolge des heiligen Benedikt stehen – ob als Mönche und Nonnen oder als Oblaten und Oblatinnen – , zu den unverzichtbaren Grundlagen unseres geistlichen Lebens. Benedikt selbst legt uns diese Kenntnis seiner Regel und seiner Weisung gleich an mehreren Stellen nahe.

„Höre, mein Sohn, auf die Weisung des Meisters, neige das Ohr deines Herzens, nimm den Zuspruch des gütigen Vaters willig an und erfülle ihn durch die Tat.“ (RB, Prolog 1)

Schon im ersten Satz des Prologs lädt uns der heilige Benedikt ein, mit offenem Ohr und geneigtem Herzen auf das Wort der Hl. Schrift und auf die Stimme des göttlichen Vaters zu hören.  Gleichzeitig, sozusagen zwischen den Zeilen, lädt er uns aber auch ein, seinem Wort und der Weisung seiner Regel zu lauschen. Offenheit und Bereitschaft sind es, die uns auszeichnen sollen – ein Leben lang. Dass es nicht nur beim Hören bleibt, sondern dass das Hören ins Handeln übergehen und sich im konkreten Lebensvollzug inkarnieren muss, wird ebenfalls bereits in diesem ersten Vers deutlich. Höre und erfülle – obsculta … et efficaciter comple. Damit ist der Rahmen für die geistliche Lesung der Heiligen Schrift, aber auch für die geistliche Lesung der Regel abgesteckt.

Im 58. Kapitel über die Aufnahme der Brüder wird es dann ganz praktisch.

„Wenn er [der Novize] – (und da dürfen und sollen sich m.E. auch die Anfänger auf dem Weg zur Oblation angesprochen wissen) – verspricht, beharrlich bei seiner Beständigkeit zu bleiben, lese man ihm nach Ablauf von zwei Monaten diese Regel von Anfang bis Ende vor…(RB 58,9)

Wenn er noch bei seinem Entschluss bleibt, liest man ihm nach vier Monaten dieselbe Regel wieder vor.“ (RB 58, 13)

Nach Ablauf von sechs Monaten lese man ihm die Regel erneut vor: Er soll wissen, was der Eintritt für ihn bedeutet. (RB 58, 12)

Dreimal also – jeweils im Abstand von zwei Monaten – soll dem Novizen die ganze Regel vorgelesen werden. Das Vorlesen der Regel schließt dabei gemäß altkirchlicher und monastischer Tradition ganz selbstverständlich auch die Auslegung des Textes durch den Vorlesenden mit ein.

In RB 66,8 empfiehlt Benedikt dann allen Mönchen – nicht nur den Novizen – die regelmäßige Lektüre der Regel – mit dem Ziel, diese wirklich und wahrhaftig kennen zu lernen: „Wir wollen, dass diese Regel öfters in der Klostergemeinde vorgelesen wird, damit sich keiner mit Unkenntnis entschuldigen kann.“

Eine letzte Stelle sei in diesem Zusammenhang genannt. Im ersten Vers des letzten Kapitels 73 sagt uns Benedikt:

„Diese Regel haben wir geschrieben, damit wir durch ihre Beobachtung in unseren Klöstern eine dem Mönchtum einigermaßen entsprechende Lebensweise oder doch einen Anfang im klösterlichen Leben (initium conversationis) bekunden.“ (RB 73,1)

Die Regel ist also für Anfänger geschrieben. Und Anfänger sind und bleiben wir alle, ein Leben lang. Unser Gelübde der Conversatio morum ebenso wie unser Oblationsversprechen, nach der Weisung des Evangeliums zu leben, gewährt uns eben diesen immer neuen Anfang. Das ist tröstlich und lädt uns Tag für Tag neu zum Aufbruch ein, die Regel durch eine entsprechende Lebensweise lebendig werden zu lassen.

Schon in der Regel selbst ist also, um diese einleitenden Bemerkungen zusammenzufassen, die regelmäßige Lesung und Betrachtung des Regeltextes vorgesehen, ja ausdrücklich empfohlen. Die Regel ist nach der Heiligen Schrift das Fundament unseres Lebens. Sie gibt uns Weisung und Orientierung, sie leitet und begleitet uns durch die Fährnisse unseres Lebens und führt uns – wenn wir uns auf diesen Weg einlassen – vielleicht nicht geradewegs, so aber doch kontinuierlich bis ans Ziel, bis hin zu einem immerwährenden Leben in der Gegenwart Gottes.

Lassen Sie mich an dieser Stelle ein Wort aus der Altväterliteratur anfügen. Abbas Poimen sprach: „Die Natur des Wassers ist weich, die des Steines hart – aber der Behälter, der über dem Steine hängt, lässt Tropfen für Tropfen fallen und durchlöchert den Stein. So ist auch das Wort Gottes weich, unser Herz aber hart. Wenn nun aber ein Mensch oft das Wort Gottes hört, dann öffnet sich sein Herz für die Gottesfurcht.“ (Apophtegmata Patrum – Weisung der Väter, 757)

Dasselbe gilt, davon bin ich überzeugt, auch für das Wort, das Benedikt uns in seiner Regel zugesprochen hat.

  • „Nur der Geist macht lebendig“

Eine zweite grundsätzliche Vorbemerkung: Wie wir wissen, ist die Benediktsregel ganz und gar durchtränkt und durchdrungen von biblischem Geist. Sie ist erwachsen aus einer zutiefst persönlichen, inneren und innigen Vertrautheit mit der Heiligen Schrift und will nicht mehr, aber auch nicht weniger sein als eine Inkarnation der großen Werte des Evangeliums. Insofern dürfen wir davon ausgehen, dass die Lesung und Betrachtung der Benediktusregel sowohl inhaltlich als auch methodisch eng verwandt ist mit der Lectio divina, der Geistlichen Schriftlesung.

Die Lectio divina möchte uns immer mehr im Geist Jesu Christi formen und prägen. Ebenso möchte uns auch die tägliche Lesung der Benediktusregel immer tiefer hineinziehen in den Geist unseres Ordensvaters Benedikt. Sein Wort und sein Beispiel wollen unser Leben gestalten, sie wollen uns nach und nach verwandeln und so ganz konkret in unserem Leben wirksam werden.

Je tiefer wir dabei – wie bei der Lesung der Heiligen Schrift – in die Geheimnisse Gottes und dessen, den er sich zum Werkzeug ernannt hat, eindringen, desto größer wird die Sehnsucht nach dem Mehr in uns. Wir möchten mehr und mehr erkennen, immer tiefer verstehen und  immer hingebungsvoller lieben. Der hl. Benedikt sagt es uns selbst: magis ac magis in Deum proficere – mehr und mehr in Gott hinein schreiten –  IHM näherkommen, uns IHM angleichen (RB 62, 4). Das ist das Geheimnis unseres Lebens – als Mönche und Nonnen und als Oblaten und Oblatinnen

Um diesem Ziel Schritt für Schritt näher zu kommen, müssen wir lernen, hinter dem  Buchstaben  den Geist zu entdecken – jenen Geist, der uns bewegt und der die Worte zu Worten des Lebens, zu Worten meines ganz persönlichen Lebens macht. Lesen und Leben gehören hier also untrennbar zusammen. Die Regel will vom Lese-Buch zum Lebens-Buch werden. Wenn wir uns auf diesen – zugegebener weise auch oft  mühsamen – Weg einlassen, dann werden wir erfahren, dass Gott selbst durch den hl. Benedikt zu uns spricht und dass wir aufgerufen sind, IHM mit unserem Leben zu antworten. Gott öffnet uns gleichsam sein Herz und lädt uns ein, in sein Herz hineinzuwachsen. So kann die Lesung der Regel am Ende zum Gebet werden, zu einer innersten Begegnung zwischen uns, die wir Gott suchen und Gott, der uns immer schon entgegenkommt. Es entsteht dann eine Art Trialog: zwischen Gott und dem heiligen Benedikt, zwischen mir und dem Benedikt und letztlich eben auch zwischen mir und Gott. Begegnung geschieht da, lebendiger Austausch, Communio.

Freilich nur dann, wenn die Lesung ganz und gar zweckfrei und absichtslos geschieht und allein darin besteht, die Botschaft zu hören und zu schmecken. Der heilige Bernhard von Clairvaux hat in seinem Kommentar zum Hohenlied über die Liebe gesagt: „Die Liebe sucht ihre Berechtigung nicht außerhalb ihrer selbst… Die Liebe ist ihr eigener Verdienst und ihr eigener Lohn; sie sucht keine Ursache außerhalb ihrer selbst und kein anderes Ziel als die Liebe selbst. Die Frucht der Liebe ist die Liebe.“ (Sup Cant. 83,4)

Genau so könnten wir es von der geistlichen Lesung sagen. Bei ihr geht es immer mehr um ein Verkosten als um Studieren, mehr um Staunen als um Erörtern, mehr um Weisheit als um Wissen. Man sieht nur mit dem Herzen gut – sagte einst Antoine de Saint-Exupéry. Man darf dieses Wort wohl auch abwandeln: man liest nur mit dem Herzen gut. Denn es geht darum, den verborgenen Geist zu schmecken, der den Buchstaben beseelt und der allein lebendig macht. Nur wenn uns das gelingt, finden wir zum Einklang mit dem Gelesenen und mit uns selbst und können Antwort geben auf das Wort – und zwar mit unserem ganzen Leben.

  • „Verstehst du auch, was du da liest“

Eine dritte Vorbemerkung möchte ich mit der Frage des Apostels Philippus an den äthiopischen Kämmerer überschreiben. „Verstehst du auch, was du da liest“, das ist die ‚Gretchenfrage‘ schlechthin – zumal für uns heute, da die Benediktsregel inzwischen nahezu 1500 Jahre alt ist und bisweilen meilenweit entfernt zu sein scheint von dem, was unser Leben heute ausmacht und trägt.

Der Dialog der Liebe, den wir in der Regellesung pflegen möchten, gerät für uns also immer wieder auch auf den Prüfstein, vor allem dann, wenn wir eben nicht oder nicht sofort verstehen, was wir da lesen. Unterscheiden wir hier zunächst zwischen dem äußerem und dem inwendigen Verstehen. Das äußere Verstehen, d.h. philologische Fragen, die Quellen, Hintergründe, Zusammenhänge und Zeitbedingtheiten der Texte können uns durch gute Regelkommentare (vor allem auch durch den Quellenband zur Regel) verdeutlicht werden. Es gibt inzwischen viele gute Kommentare, wie wir alle wissen – ich brauche sie hier nicht im einzelnen zu benennen. Sie alle können uns helfen, das Äußere zu verstehen, zu  deuten und richtig einzuordnen. Deshalb sind sie wichtig und notwendig und wir alle sollten sie ganz bewusst und regelmäßig zur Hand nehmen.

Doch ein noch so guter Kommentar kann, wie ich meine, das Eigentliche, das Wesentliche nicht ersetzen. Der Kern des Ganzen spielt sich wie oben bereits gesagt auf einer anderen Ebene ab, auf der, die uns existenziell und in unserer ganzen Person erfassen möchte.

Einen wichtigen Schritt näher kommen wir diesem Kern, wenn wir das Glück haben, erfahrenen Meistern des geistlichen Lebens zu begegnen, die uns die Regel vorleben und uns auch ihr eigenes inneres Ringen mit dem Text und seinem Anspruch nicht vorenthalten. Solche geistlichen Mütter und Väter gab es zu allen Zeiten und gibt es Gott sei dank auch heute. Doch sie erwachsen nicht von selbst. Um es mit einem Wort von Heinz Schürmann zu sagen: „Gott lässt begnadete Seelenführer in dem Maße erstehen, wie sie gesucht und gebraucht werden.“ Schon die Altväter der Wüste haben sich nicht selbst zum Lehrer ernannt, sondern wurden gesucht und gezielt um Weisung gebeten. Haben wir also ruhig den Mut, aktiv auf die Suche zu gehen nach einem Menschen, der die Regel zu leben versucht und darin bereits eine gewisse Erfahrung hat. Und haben wir umgekehrt auch den Mut, Zeugnis zu geben von unserem persönlichen geistlichen Weg, wenn andere uns darum bitten. Wir können einander zum Vorbild werden und uns den Weg weisen. Vom Abt sagt Benedikt: „Er zeige mehr durch sein Beispiel als durch Worte, was gut und heilig ist“ (RB 2, 12). Das gute Beispiel wiegt mehr als tausend Worte. Das wissen wir alle. Und gerade im geistlichen Leben erscheint es mir lebensnotwendig zu sein.

Schließlich und keineswegs zuletzt sei auf eine, wenn nicht die untrügliche Hilfe zum Verstehen der Heiligen Schrift wie auch der Benediktsregel hingewiesen: das Gebet. Schon der große Origines schrieb einst in seinem Brief an Gregor Taumaturgus, 4: „Wer nicht findet, was er sucht, wer den gelesenen Text nicht versteht, muss Gott anrufen und ihn bitten, ihn erkennen zu lassen; so wird die Lesung zum Gebet, denn es ist absolut notwendig zu beten, um die göttlichen Dinge zu verstehen.“ Im Prolog der Regel schreibt uns Benedikt Ähnliches ins Stammbuch: „Sooft du etwas Gutes zu tun beginnst, bitte zuerst inständig darum, dass er es vollende.“ (RB Prolog 4) Dies gilt sicher für alles, was wir tun, zuerst und vor allem aber für die geistliche Lesung. Nur der Herr selbst kann unsere tauben Ohren öffnen und unsere verhärteten Herzen geschmeidig machen. Nur er selbst kann uns auch im Tiefsten den Sinn und die Bedeutung eines Textes für unser persönliches Leben eröffnen.  „Effata“ – öffne dich. Das ist der Ruf, dem wir uns Tag für Tag anschließen sollten, wenn wir mit der Lesung beginnen

  1. Mein Weg mit dem persönlichen Regel-Tagebuch
  • Zur Genese

Wie so oft im Leben entstand die Idee, ein Regel-Tagebuch zu führen, aus einer äußeren „Notsituation“ heraus. Noch während des Noviziates ergab sich für mich die Notwendigkeit, ein halbes Jahr als Assistentin unserer Hildegard-Forscherin Sr. Angela übersiedeln zu müssen in die Abtei Maria Laach. Dort, sozusagen auf einsamem Außenposten, weit weg vom Noviziatsbetrieb und den Regelkonferenzen unserer Schwester Magistra, begab ich mich auf die Suche nach einem Geländer, das mir im „Exil“ Halt und Orientierung geben konnte. Schon bald kam ich auf die Idee, zusätzlich zur normalen Lectio Divina am morgen eine abendliche feste Zeit der Lectio Regulae zu etablieren. Angeregt durch den Regelkommentar von Abt Denis Huerre, der zu jeder Tageslesung aus der Regel jeweils kurze, prägnante und zum Teil sehr persönliche Texte enthält, begann ich am 2. Mai 1992 mit meinem Regel-Tagebuch. Traditionsgemäß beginnt am 2. Mai jeden Jahres in unseren Klöstern der zweite Jahreszyklus der Regellesung, so dass ich mit Vers 1 des Prologs beginnen konnte.

Schon nach einigen Wochen bildeten sich ein fester Ablauf und klare methodische Schritte heraus, die ich bis heute weitgehend beibehalten habe. Zunächst suchte ich mir einen Ort, konkret einen Tisch, der nicht mein Schreibtisch war, an dem ich ansonsten zu arbeiten pflegte. Ich erbat mir eine schöne Tagebuch-Kladde und eine Kerze und begann mit meiner ersten Regel-Tagebuch-Lesung.

  • Methodische Schritte

2.1.  Zu einer bestimmten immer gleichen Zeit am Tag und an einem bestimmten Ort, den ich mir einmal für immer gewählt habe, zünde ich eine Kerze an und nehme die Regel zur Hand.

2.2.  Zuerst spreche ich ein kurzes Gebet oder auch ein Stoßgebet wie das Wort „Effata – öffne dich – Herr, öffne du selbst mein Ohr und mein Herz!“.

2.3. Danach lese ich den jeweiligen Tagesabschnitt der Regel als Ganzes langsam, Wort für Wort, halblaut vor mich hin. Ich betrachte den Text und denke zunächst darüber nach, was der Kerngedanke des heiligen Benedikt und die Grundaussage dieses Abschnitts sein könnte.

2.4. Dann lese ich den Text ein zweites Mal – diesmal leise. Ich verkoste den Text in aller Ruhe, betrachte  ihn mit weit geöffneten Herzen. Ich stoße meist schon hier auf eine Sequenz, auf ein Wort oder auf einen Gedanken, der mich persönlich in besonderer Weise anspricht oder herausfordert. Dort verweile ich. Dann schreibe ich den entsprechenden Satz, Teilsatz oder auch nur ein einziges Wort des Regeltextes in mein Tagebuch. Hinzu füge ich das Datum des jeweiligen Tages.

2.5. Nun lasse ich mich von diesem ausgewählten Text tief in meinem Inneren ansprechen. Was bedeutet dieses Wort hier und heute für mein ganz persönliches Leben? Kann ich es einlösen oder steht es in Spannung zu mir? Fühle ich mich bestätigt oder herausgefordert? Was kann und sollte sich ändern in meinem Lebensvollzug, wenn ich dieses Wort ernst nehme?

2.6. Dann schreibe ich auf, was in mir gewachsen oder auch nur hochgekommen ist. Dabei gibt es keine Tabus – ich möchte radikal ehrlich sein vor Gott und vor mir selbst. Manchmal ist es ein Ringen und ein Kämpfen, manchmal eine Ermutigung und ein Trost, manchmal eine Entdeckung oder auch eine ganz neue Erfahrung mit mir selbst.

2.7. Zumeist mündet mein Tagebuch-Eintrag ein in ein Gebet: in Lob oder Dank, Klage, Schrei oder Fürbitte. Auch hier gilt: alles darf sein, alles darf zum Gebet werden. Mit diesem selbst formulierten Gebet oder auch mit einem abschließenden ‚Ehre sei dem Vater‘ endet meine Regel-Lesung. Ich bleibe noch einen Moment in der Stille und wende mich dann nach ca. 30 Minuten ruhig und konzentriert meinem Alltag zu.

Soweit der Ablauf meiner Lectio Regulae in sieben Schritten.

  • Erfahrungen und Früchte

Wenn ich nun ein wenig von meinen Erfahrungen mit dem Regel-Tagebuch berichte, so könnte ich sie in einem Wort zusammenfassen: das Regel-Tagebuch ist für mich zum Lebensatem geworden. Es hilft mir zu leben, ja ist inzwischen untrennbar mit meinem Leben verwoben. Es schenkt mir den Sauerstoff, den ich brauche, um mein geistliches Leben der Christusnachfolge im Geist des hl. Benedikt zu leben. Es gibt meinem Tag Struktur und  Halt. Es verleiht mir Kraft, Ausdauer und Ruhe. Es befruchtet mein Herz und meinen Geist und gibt mir immer neue Nahrung für den Alltag. Es hat mir geholfen, dem hl. Benedikt und seinem monastischen Lebens-Entwurf ganz persönlich nahe zu kommen, ihn tiefer zu verstehen und dieses unser benediktinisches Leben zutiefst lieben zu lernen.

Vor allem aber hat mich das Regel-Tagebuch – darauf möchte ich vertrauen – Gott ein Stück näher gebracht. Es hilft mir, täglich neu zu versuchen, in Seiner Gegenwart zu leben, alles aus Seiner Hand entgegen zu nehmen. Vielleicht, so hoffe ich, hat es mich auch ein kleines Stück wahrhaftiger werden lassen und mir Schritt für Schritt ein Gespür dafür vermittelt, wer ich bin vor Gott und andererseits, wer Gott ist für mich.

Das Regel-Tagebuch hat mich auch mir selbst ein Stück nähergebracht. Es hat eigene, längst vergessene Lebenserfahrungen, manchmal auch Lebenswunden, ans Licht gebracht und sie einem langsamen Prozess der Heilung unterzogen. So hat das Regel-Tagebuch mein Leben verändert. Es hat sicher auch mein Verhältnis zu den anderen, zu meinen Mitschwestern, zu meiner Gemeinschaft, zu meinen Freunden und den mir anvertrauten Menschen geprägt.

Dies alles will nicht heißen, dass der Weg nicht oft auch steinig und mühsam war. Aller Anfang ist und war auch bei mir schwer. Nicht selten überkommt einen das Gefühl des Längst-Bekannten, der Langeweile, des Überdrusses – wir alle kennen das berühmt-berüchtigte Laster der Acedia. Dann gab es auch dunkle und schwere Zeiten, Zeiten der Überforderung – Tage und Wochen  – da kaum ein Eintrag in mein Tagebuch möglich schien. Auch das darf sein, denke ich. Manch leere Seite oder leere Daten zeugen heute noch davon. In solchen Zeiten war und ist es für mich wichtig, trotz aller inneren Widerstände dennoch irgendwie dabei zu bleiben – die Regellesung nicht aufzugeben, auch wenn das Niederschreiben vielleicht schwer fällt. „Die Treue ist der Preis dafür, dass man zum Wesentlichen durchstößt“, hat Ruth Pfau, die bekannte Ordensfrau und Lepraärztin mir einmal gesagt. Das gilt für das geistliche Leben insgesamt, im Besonderen aber, wie ich meine, für die Lectio divina und die Lectio regulae.

Wenn ich heute mein Bücherregal anschaue, dann finde ich darin viele vollgeschriebene Kladden, hinter denen sich mein geistlicher Lebensweg verbirgt – mit all seinen Kreuzungen, mit seinen Umwegen, mit seinen Stolpersteinen, mit seinen Wüsten und manchmal schier unüberwindlich scheinenden Gebirgen, aber auch mit all seinen Oasen und Höhenerfahrungen, mit Freudenzeiten und unverdienten Glücksmomenten. Den meisten Raum, das sollten wir ganz nüchtern sehen, nimmt das Alltägliche ein. Das hat nichts mit Mittelmäßigkeit zu tun, wohl aber vielleicht mit Mitte und Maß. Auch solche „Discretio“ will immer neu errungen werden, gerade in unserer Zeit, die zum Extremen und zum Ultimativen neigt. Bodenhaftung ist unter Umständen schwerer zu gewinnen als Exstase. Der schmalste Grat ist immer der mittlere Weg, der des Alltags. Aber hat nicht der Herr selbst seinen Jüngern verheißen: „Geht voraus nach Galiläa, dort werdet ihr mich sehen“

Eine weitere Erfahrung mit dem Regel-Tagebuch: Manchmal blättere ich auch zurück, nehme eine alte Kladde zur Hand, um zu schauen, was ich mir zu einer Regelstelle vor zwei Jahren, vor fünf Jahren oder gar vor zehn Jahren notiert habe. Eine lineare Entwicklung findet sich da nicht, wohl aber viele verschiedene Aspekte und Sichtweisen – auch manches Zeitbedingte natürlich. Wichtig aber ist mir, dass auch Regelstellen oder – kapitel, die auf den ersten Blick vielleicht eher marginal zu sein scheinen, mit der Zeit an Leuchtkraft gewinnen. Manche Muscheln öffnen sich eben erst mit der Zeit und lassen ihre Perlen nur langsam sichtbar werden. Wichtig sind auch hier Geduld und Treue und die Offenheit, sich immer wieder neu überraschen zu lassen von diesem Regeltext. „Die Geduld“, so hat Gabriel Marcel einmal gesagt, „ist der Sieg über die Zeit und lässt uns schon hier einen Hauch von Ewigkeit erfahren“. Wenn eine solche Erfahrung die Frucht langen Regel-Tagebuch-Schreibens ist, dann hat es sich meines Erachtens gelohnt.

Eine letzte Erfahrung möchte ich nicht vorenthalten. Ich hatte das unverdiente Glück, dass mich über viele Jahre lang mit einer meiner Mitschwestern eine geistliche Freundschaft verband. Diese Freundschaft hat mich vieles gelehrt. Wir haben seinerzeit unabhängig voneinander, also parallel mit unserem Regel-Tagebuch begonnen. Eines Tages dann haben wir angefangen, im Abstand von drei Monaten (jeweils nach Ende eines Lesezyklus‘) unsere Tagebücher zu tauschen und in dem jeweils anderen mit den Aufzeichnungen fortzufahren. So hat sich für uns eine weitere Ebene der Begegnung über den oben schon beschriebenen Trialog zwischen Gott, dem hleiligen Benedikt und mir selbst hinaus ergeben. Hierdurch kamen noch einmal ganz neue Sichtweisen und Erfahrungen ins Spiel. Diese sind für mich eine große Bereicherung. Ein solches „Verfahren“ setzt natürlich Vertrauen voraus. Solche geistliche Freundschaft kann man nicht machen, sie ist Geschenk. Aber ich möchte jede und jeden ermutigen, nach solchen möglichen Freundschaften Ausschau zu halten und vielleicht einen solchen Schritt zu wagen. Am Anfang allerdings sollte der je persönliche Weg mit dem Regel-Tagebuch stehen. Der Weg mit einem anderen gemeinsam kann dann langsam wachsen, wenn Gott es will.

Sr. Philippa Rath OSB